Der Tod von Kudup

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Ihre Keeper, die Elefantenwaisen und ihre zahlreichen Paten in vielen fernen Ländern liebten sie aus tiefstem Herzen. Sie war ein wundervolles, sanftmütiges und liebevolles Elefantenbaby namens Kudup. Sie wurde nach dem Ort benannt, an dem sie am 13. Mai 2009 aus einem tiefen Loch der Milgis Lugga im Norden Kenias gerettet wurde. [Anm. eine Lugga ist ein in der Dürre ausgetrocknetes Flussbett, in das Löcher gegraben werden, um Grundwasser zu fördern] In wenigen Tagen hätte sie ihren 2. Geburtstag gefeiert, aber es sollte anders kommen. Am Morgen des 10. Mai 2011 starb sie nach langer Krankheit…

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Wir hatten bis dahin alles versucht: Antibiotika (mit dem Futter als auch mit der Spritze), Homöopathie, Ölessenzen, Körpersprache und jede Art konventioneller und alternativer Therapiemöglichkeiten. Der vergrößerte Bauchumfang deutete letztlich auf einen Organdefekt hin, z.B. des Herzens, der Leber oder der Nieren. Trotz aller Bemühungen, siechte sie einfach nur langsam dahin, und sie so lange so in diesem Zustand zu sehen, war unerträglich.

Wir flehten südafrikanische Spezialisten um ihre Unterstützung an und wollten sie auf eigene Kosten einfliegen, damit sie uns bei der Diagnosefindung helfen konnten. In der Zwischenzeit konnten wir nichts weiter tun, als warten. Im letzten Moment erhielten wir die Nachricht, dass die Südafrikaner nicht kommen konnten, und somit entschieden wir uns, Kudups Leiden am 10. Mai ein Ende zu setzen. Unser Tierarzt sollte anschließend eine gründliche Autopsie vornehmen und Gewebeproben (fixiert in Formalin) an die Südafrikaner schicken. Dort verfügt man schlichtweg über eine bessere und modernere Laborausstattung. Wir hofften, dass sie uns wenigstens dann eine Diagnose für Kudups Krankheit geben konnten.

Der Gedanke, dass wir Kudup einschläfern sollten, graute uns. Schließlich sollte ihr letzter Gedanke nicht sein, wir sie nur vermeintlich geliebt hatten, sie am Ende aber trotzdem betrügen und töten wollten. Wir beteten inständig, dass Gott eingreifen und diese schwere Aufgabe für uns übernehmen würde – und unsere Gebete wurden erhört. Kudup starb am Morgen des 10. Mai 2011 ohne fremdes Zutun und sah dabei sehr friedlich aus.

Wir erwarteten nach der Autopsie allerlei Organdefekte, weil sie so lange so krank gewesen war. Aber nichts dergleichen! Stattdessen fand der Tierarzt eine große Menge gelblicher Flüssigkeit in ihrer Bauchhöhle. Das Herz war in Ordnung, ebenso wie Leber, Galle, Nieren, Milz und Lungen. Was um Himmels willen war dann die Ursache für den Tod eines anfangs kerngesunden Babies, das im Alter von zwei Monaten in die Nursery kam und sich anfangs ganz normal entwickelte? Der Transport der Gewebeproben nach Südafrika wurde freundlicherweise von den dortigen Spezialisten arrangiert, und jetzt warten wir auf die Ergebnisse. So wie viele Elefantenbabies vor Kudup, haben alle etwas gemeinsam: sie waren im Dürrejahr 2009 in einen Brunnen gefallen.

Unser Tierarzt vermutet ein Syndrom namens „Sprue“, das man auch von unterernährten Kindern kennt. Die tropische Sprue ist möglicherweise eine Infektion der Darmschleimhaut (mit Viren, Bakterien oder Parasiten) oder eine Allergie, die dazu führen könnte, dass sich die Darmzotten zurückbilden und dadurch keine Nährstoffe mehr aufnehmen. Dadurch verhungert der Patient irgendwann, obwohl er (fr)isst. Die genaue Ursache und der Krankheitsmechanismus sind jedoch noch unbekannt. Liegt die Ursache vielleicht im Milchersatz, den die Elefantenwaisen in der Nursery bekommen? Oder fehlte es der Muttermilch, bedingt durch die extreme Dürre 2009, an bestimmten lebenswichtigen Bestandteilen? Die Natur hat ihre eigenen Wege, die Größe einer Elefantenpopulation zu regulieren, besonders unter dem Duck des Klimawandels. Offensichtlich manifestiert sich die Sprue auch bei unterernährten Menschenkindern im Alter von zwei Jahren.

Der einzige Trost, der uns bleibt, ist, dass Kudup 18 glückliche Monate bei uns verlebt hat, von allen geliebt wurde und wir alles versucht haben, um ihr zu helfen. Sie war eine von vielen kleinen Elefanten, die uns Menschen gezeigt hat, dass Elefanten zu grenzenlosem Mitgefühl, Güte und Liebe untereinander fähig sind. Auch lernen wir durch sie immer wieder, was es heißt, zu vergeben, denn wie sonst könnten sie ihre Keeper lieben, nachdem sie durch andere Menschen so unrecht behandelt wurden. Es gibt eine Zeit der Trauer, des Herzschmerzes und des Kummers. Aber danach müssen wir die nächste Seite aufschlagen und uns weiter auf diejenigen konzentrieren, die noch bei uns sind und all die vielen, die noch zu uns kommen werden und unsere Hilfe brauchen.