Am 22. April wurden drei unserer Waisenhaus-Babys nach Tsavo gebracht, dieses Mal zu unserer Auswilderungsstation in Voi. Dort werden sie den nächsten Abschnitt auf ihrer Rückkehr in die Wildnis beginnen. Diese Reise braucht Zeit, wie es auch bei Menschenkindern ist, denn Elefanten altern in vergleichbarem Tempo wie Menschen. Tundani, sein bester Freund Nelion und die freche Lentili sind noch jung und noch sehr abhängig von der Milch und den Keepern, doch sie sind bereit dafür, von den älteren Waisen, den Ex-Waisen und den wilden Elefanten zu lernen. Im Laufe der Jahre wird ihnen der Umgang mit diesen älteren Elefanten die wichtigsten Überlebenstricks für ein wildes Leben beibringen.
An diesem Tag traten die drei Elefanten also die Reise an, und wie üblich wurden sie schon sehr früh in den LKW geladen, damit der größte Teil der über 400 km weiten Reise nach Voi während der kühlen frühen Morgenstunden vonstatten gehen konnte. Ohne Widerstand gingen die drei Waisen in den extra dafür gebauten Waisen-Umzugs-LKW. Ihre Keeper blieben bei ihnen und traten die Reise gemeinsam mit ihnen an. Die Keeper hatten einen ausreichenden Vorrat an fertig gemischter Milch und Grünfutter dabei und waren bei den Elefanten im Laderaum.
Ein Landrover begleitete den LKW, für den Fall, dass etwas Unvorhergesehenes passieren würde, und der Konvoi rollte um 3:30 Uhr aus dem Gelände des DSWT-Hauptquartiers im Nairobi-Nationalpark. Um diese Zeit war kaum ein Auto auf den Straßen zu sehen und sie waren in Rekordzeit außerhalb der Stadt. Sie schlängelten sich dann die Nairobi-Mombasa-Autobahn hinab zu den tiefergelegenen Landesteilen Kenias. Zu Sonnenaufgang begann ein wunderschöner Tag mit außerordentlich klarer Sicht. Der Kilimanjaro war in seiner ganzen Pracht zu sehen, ebenso wie die Chyulu-Hügel davor.
Der Konvoi fuhr am Eingang zum Kibwezi-Wald vorbei, zu dem erst ein paar Tage zuvor Ziwa und Balguda gebracht worden waren. Doch für dieses Trio war das Ziel die Auswilderungsstation in Voi. Der David Sheldrick Wildlife Trust hat im Tsavo-Schutzgebiet drei Auswilderungsstationen; Voi ist die dienstälteste davon und dort leben die ältesten Ex-Waisen. Wir konnten innerhalb der Jahre viele Erfolge feiern und hatten jede Menge Freude, denn viele unserer ehemaligen Waisen haben inzwischen wildgeborene Babys. Die Einheit in Voi wurde in den frühen 50er Jahren gegründet, als die ersten Elefantenwaisen Samson und Fatuma von David Sheldrick, dem Gründer des Tsavo-Nationalparks, dort aufgezogen wurden. Im Moment haben wir in Voi 24 abhängige Waisen, die noch jeden Abend in ihre Nachtgehege zurückkehren.
Um 9:30 Uhr erreichte der Konvoi aus Nairobi das Manyani-Tor des Tsavo-East Nationalpark und bog ein, um die restliche Strecke auf den unbefestigten Straßen durch den Nationalpark zurückzulegen. Hier kamen sie an wilden Elefanten vorbei. Gewitterwolken türmten sich auf und es war deutlich zu erkennen, dass es am Nachmittag in Voi ein paar Regenfälle geben würde. Unseren drei Reisenden ging es noch immer gut, sie waren sehr ruhig, hatten sich dem ergeben, was immer da auf sie zukommen sollte und vertrauten den Keepern vollkommen. Als der Konvoi den Berg hinauf fuhr und sich den Voi-Stallungen näherte, stellten Angela und Robert fest, wie ruhig und problemlos doch dieser Umzug abgelaufen war, wenn man bedenkt, wie weit die Elefanten gereist waren.
Das allerdings war, wie sich herausstellen sollte, eine etwas voreilige Beobachtung, denn als James den LKW am Eingang zurücksetzen wollte, um ihn mit den Ausgangstoren an die Rampe zu stellen, blieben die Vorderräder im dicken Schlamm stecken. Robert versuchte verbissen, den LKW mit dem Landrover herauszuziehen, doch es war erfolglos. Auch der Traktor des Trust wurde hinzugeholt, um das gleiche zu versuchen, doch auch damit klappte es nicht. Da wir die Waisen nicht noch weiteren Verzögerungen aussetzen wollten und sich inzwischen der Sturm zusammenbraute, während es gleichzeitig immer wärmer wurde, schlug Angela vor, die LKW-Tore zu öffnen und als Rampen zu benutzen, damit die Waisen versuchen konnten, darüber herauszuklettern.
Die drei Neuankömmlinge kletterten bemerkenswert vorsichtig aus dem LKW und schafften es trotz des spitzen Winkels problemlos. Unten wurden sie sofort von einem Meer aus Rüsseln der älteren Waisen begrüßt. Die Waisen hatten die Anwesenheit der Neulinge gespürt und konnten es inzwischen vor Aufregung kaum noch aushalten. Tundani war als erster draußen. Nachdem er vorsichtig heruntergekrabbelt war, folgten ihm die anderen beiden ohne zu zögern. Die Begrüßungen waren überwältigend, denn die Waisenkühe der Voi-Herde waren sehr aufgeregt und begeistert darüber, neue Babys zum verwöhnen zu haben.
Wasessa konnte sich gar nicht wieder einkriegen. Sie legte sich hin, setzte sich wieder auf, drehte sich im Kreis und jagte trompetend herum, um ihre Freude zum Ausdruck zu bringen. Tundani war zufrieden, da er wusste, dass er zwei seiner besten Freunde aus dem Waisenhaus und seine vertrauten Keeper dabei hatte. Er ging locker mit der ganzen Aufregung um. Die drei blieben dicht beieinander, während sie mit mehr Aufmerksamkeit denn je überschüttet wurden, hielten sich aber ein bisschen mehr an ihre Keeper als gewöhnlich.
Nachdem sie sich ausgiebig begrüßt hatten, wurden die Waisen weggelockt und von ihren Keepern erst zur Tränke und dann zum Schlammloch geführt. Sie wollten sich aber an diesem Tag nicht wälzen. Die Herde ging gemeinsam mit ihren Keepern weiter in den Park hinein und graste an den Hängen des Mazinga-Bergs. Die Neuankömmlinge waren begeistert von dem frischen Gras, das es dank der kürzlichen Regenfälle im Überfluss gab. Später am Nachmittag blies ein Sturm einen angenehmen Regen heran, der die Neulinge abkühlte und sehr verspielt werden ließ. In der ersten Nacht entwickelte sich alles gut und es scheint, dass die älteren Waisen Lempaute und Sinya die Neuankömmlinge als ihre besonderen Lieblinge angenommen haben.
Nach ein paar Tagen haben sich Tundani, Nelion und Lentili schon gut in ihre neue Umgebung eingelebt und mit jedem neuen Tag wächst ihr Selbstbewusstsein. Sie hatten bereits das Privileg, die Herde der Ex-Waisen Emily und Edie mit ihren zwei winzigen neugeborenen Babys Emma und Eden zu treffen, und sie sind auch schon an den Wasserlöchern der Gegend mit wilden Elefanten in Berührung gekommen. Für Tundani, der zwei Jahre zuvor, am 8. April 2013 aus Tsavo gerettet worden war, ist dies eine Heimkehr und ganz sicher erinnert er sich. Für Nelion, der im August 2013 von den Hängen des Mount Kenya gerettet worden war, und die kleine Lentili aus Laikipia ist das alles sehr neu. Doch dank ihrer gegenseitigen Gesellschaft, ihrer geliebten Keeper und der Führung und Zuneigung der älteren Waisen haben auch sie sich gut eingewöhnt. Sie werden für mindestens weitere acht bis zehn Jahre in unserer Obhut bleiben, bevor sie alt genug sind und sich selbst sicher genug fühlen, das Nest zu verlassen. Ihre Reise hat aber jetzt begonnen.