Der Tsavo-Nationalpark und seine unmittelbare Umgebung nehmen eine riesige Fläche von über 40.000 Quadratkilometern ein und sind die Heimat von Kenias größter Elefantenpopulation – aktuell ungefähr 11.000 Tiere. In der Vergangenheit mussten die Elefanten, um zwischen dem Ost- und dem Westteil des Parks sowie dem Farmland dazwischen hin und her zu wandern, eine einzelne Bahnstrecke und eine Hauptstraße, die Nairobi mit der Hafenstadt Mombasa verbindet, überqueren. Auch die Gebiete, auf denen heute die Farmen liegen – zwischen den Teilen des Parks und im Westen und Süden an ihn angrenzend – stellen historisch wichtige Weidegründe für die Elefanten dar. Vor langer Zeit war die Straße geschottert, später asphaltiert, doch damals war der Verkehr noch überschaubar. Heute wird die Bahnstrecke von einer chinesischen Firma in eine neue Trasse mit standardisierter Spurbreite umgebaut, die Nairobi mit der Küste und dem Hafen von Mombasa verbinden soll. Sie verläuft größtenteils auf einem hohen Damm und wird bald fertiggestellt sein. Außerdem gibt es Pläne, die alte Hauptstraße durch eine vier bis sechs Fahrbahnen breite Autobahn zu ersetzen, denn die Straße ist heute schon von LKWs und Fahrzeugen verstopft, die nicht nur nach Nairobi wollen, sondern noch weiter ins Innere von Afrika, nach Uganda und Ruanda.
Die neue Bahnstrecke ist mit ein paar Tunneln ausgestattet, damit die Wildtiere zwischen dem Ost- und dem Westteil des Parks und den Farmen wandern können; die Elefanten wie auch alle anderen Tiere müssen nun lernen, wo diese Durchgänge sind, sie benutzen und danach noch die Hauptstraße auf der anderen Seite überqueren. Glücklicherweise sind Elefanten sehr intelligent, und unter denen, die diese neue Hürde bereits überwunden haben, ist auch unsere Ex-Waisen-Herde; sie sind seinerzeit von Hand aufgezogen worden und führen nun ein völlig normales wildes Leben, integriert in die eingeborene Elefantenpopulation Tsavos.
Die Leitkuh der Ex-Waisen-Herde in Voi ist Emily, die erst wenige Monate alt war, als sie ins Waisenhaus des DSWT im Nairobi-Nationalpark kam. Als die Zeit dafür gekommen war, wurde sie zur Auswilderungsstation in Voi transportiert und lebt nun schon seit über zehn Jahren als wilder Elefant. Sie hat inzwischen zwei wild geborene Kälber, und zu ihrer Herde gehören insgesamt sieben in der Wildnis geborene Babys – und ein paar sind noch auf dem Weg!
Das Jahr 2016 zeichnete sich durch eine sehr harte Dürreperiode aus, und viele wilde Elefanten starben als Folge des Wasser- und Futtermangels. Während dieser Zeit waren die Farmländereien wichtiger als je zuvor, denn im Südteil des Parks gab es kaum noch Futter und Gras. Wir waren erleichtert, als wir hörten, dass es Emily und ihrem Anhang gelungen war, während der trockensten Monate das Taita-Schutzgebiet aufzusuchen, zusammen mit weiteren 300 Elefanten. Diese Gegend grenzt an das Taita-Gebirge, und dort gibt es auch in der Trockenzeit noch genug Futter und Wasser. Alle Elefanten, die es rechtzeitig dorthin geschafft hatten, waren kaum von der Dürre im südlichen Tsavo betroffen. Es war aber wichtig, rechtzeitig dorthin aufzubrechen, denn mitten in der Trockenzeit können die Herden nicht mehr zwischen den Gebieten wandern, weil es unterwegs gar kein Wasser mehr gibt. Die Elefanten müssen sich also auf das Wissen und die Weisheit ihrer älteren Mitglieder verlassen und die Reise zum richtigen Zeitpunkt antreten, um die trockenen Monate an einem sicheren Ort verbringen zu können.
Die Ex-Waisen hatten also genug Futter zum Fressen, und es erreichten uns sogar tolle Neuigkeiten: Ex-Waise Thoma bekam ihr erstes Baby, das wir Thor genannt haben! Als endlich die ersten Regenfälle begannen, verließ Emilys Herde das Taita-Schutzgebiet und verschwand einige Tage von der Bildfläche. Zu unserer großen Freude und Erleichterung tauchten sie dann am 1. Dezember an unseren Stallungen in Voi auf, die im Tsavo East Nationalpark liegen. Bei der aktuellen Bautätigkeit an der Bahnstrecke müssen sie etwa 80 Kilometer weit gelaufen sein, um vom Taita Schutzgebiet nach Voi zurückzukehren. Diese Reise war nur möglich, nachdem sich die Wasserlöcher mit dem beginnenden Regen wieder gefüllt hatten.