Die Frau, die in Kenia Elefanten aufzieht

Seit mehr als einem halben Jahrhundert rettet Dame Daphne Sheldrick in Kenia verwaiste Elefanten und andere Wildtiere

Dame Daphne Sheldrick and Dida

Daphne Sheldricks Waisenstation für Elefanten liegt im äußeren Zipfel des Nairobi Nationalparks. Besucher aus aller Welt haben jeden Vormittag die Möglichkeit, den bis zu drei Jahre alten Waisen für eine Stunde beim Spielen im Schlamm und Füttern durch ihre Pfleger zuzusehen. Heute leben hier 16 Baby-Elefanten, die ihre Mütter meistens durch Wilderer verloren haben. Einige sind jedoch auch in Wasserlöcher oder Fallgruben gestürzt, aber alle haben eines gemein: sie haben ihre Familien durch menschliche Aktivitäten verloren. Elefanten brauchen Milch, bis sie etwa drei Jahre alt sind, und wenn sie keine Hilfe bekämen, würden sie in der Wildnis sterben.

Manche von ihnen wurden unter dramatischen Umständen gerettet und viele sind traumatisiert vom Verlust ihrer Herde. Hier in der Waisenstation fassen sie Vertrauen zu den Pflegern, die rund um die Uhr bei ihnen sind. Jeder Elefant hat seinen eigenen Stall zum Schlafen – wie kleine Menschenkinder müssen sie getrennt untergebracht werden, damit sie sich nicht die ganze Nacht wach halten. Ein Pfleger bleibt die ganze Nacht bei ihnen, aber es ist immer ein anderer, damit sich die Elefanten nicht zu sehr an eine bestimmt Person gewöhnen.

Die Waisenstation ist kein Zoo, sondern eher eine Auffang- und Zwischenstation, von wo aus die Tiere eines Tages in die Wildnis zurück kehren. Je nachdem wann sie dazu bereit sind, ziehen die Elefanten zuerst von der Nursery (der Kinderkrippe) in eine der Auswilderungsstationen im Tsavo Nationalpark, etwa 300 km südöstlich von Nairobi. Das Leben dort könnte man als Betreutes Wohnen bezeichnen: die Waisen haben Kontakt zu Artgenossen in der Wildnis, übernachten aber noch in einem umzäunten Gehege. Wenn sie in der Auswilderungsstation ankommen, sind sie immer noch auf ihre Pfleger (und die Zufütterung von Milch) angewiesen. Es kann einige Jahre dauern, bis sie wieder ganz in die Wildnis integriert sind. Elefanten haben eine sehr ausgefeilte, fast telepathische Art der Kommunikation, und so kommt es öfter vor, dass die Elefanten in der Station regelrecht zu warten scheinen, wenn aus der Nursery neue Waisen unterwegs nach Tsavo sind. Und auch die Elefanten, die in die Wildnis zurückgekehrt sind, kommen dann und wann zurück zur Station, z.B. wenn sie verletzt sind oder krank oder wenn sie ihren Pflegern ihre in der Wildnis geborenen Babys zeigen wollen.

Das Waisenprojekt ist nur ein Teil der Arbeit des David Sheldrick Wildlife Trust, der von Daphne im Andenken an ihren verstorbenen Ehemann gegründet wurde. David Sheldrick war Parkvorsteher und ein Vorreiter in der Bekämpfung der Wilderei. Die Stiftung unterhält außerdem ein Nashorn-Projekt, Anti-Wilderer-Einheiten in Tsavo, eine mobile tierärztliche Einheit, Teams die Drahtschlingen einsammeln, Waldschutzprojekte und Aufklärungsprogramme in Dorfgemeinden. Inzwischen 77 Jahre alt, steht Daphne Sheldrick der Stiftung immer noch vor, lebt und arbeitet in dem Holzhaus im Nairobi Nationalpark, in das sie nach dem Tod ihres Mannes 1977 eingezogen war. Das Haus ist großmütterlich-gemütlich eingerichtet und umgeben von Akazien mit Blick auf das Schlammbad der Waisenelefanten.

Edwin, der oberste Pfleger, führt mich zu den Elefanten. Er hatte anfangs nur übergangsweise in der Waisenstation gearbeitet und war eigentlich gerade dabei, sich beim Priesterseminar anzumelden. Aber hier fand er seine wahre Berufung – die Elefanten statt Gott. Wir spazieren ein klein wenig in den Busch, bis wir sie finden: beim Grasen, Schubsen und Pupsen. Vom Wälzen im Schlamm sind sie dunkelrot und die Pfleger haben die Ohrränder der Jüngsten mit Sonnencreme eingeschmiert. In der Wildnis laufen sie immer im Schatten ihrer Mütter und Tanten, so dass sie sich hier leicht einen Sonnenbrand zuziehen können. Der Kleinste, Kithaka, ist von einigen Weibchen umringt.

Es ist ein ganz besonderes Gefühl inmitten der kleinen Elefanten zu stehen. Einige kommen neugierig näher, beschnüffeln mich mit ihren Rüsseln und schmiegen sich vorsichtig an mich, als ich ihre behaarten Köpfe streichle. Ihre Haut ist rau, aber empfindlich und die Rückseite der Ohren ist samtweich. Sie mögen es, ihren Rüssel um deinen Arm zu schlingen und an deinen Händen zu saugen. Sie schauen dich durch ihre unglaublich langen, in der Sonne schimmernden Wimpern an, als würden sie grüne Mascara tragen. Man fühlt sich sehr besonders inmitten der Babys.

Ein bisschen abseits der anderen liegt Lemek, die erst vor kurzem in die Nursery gebracht wurde, unter einer Decke bei einem Pfleger und einem anderen kleinen Elefant: Orwa. Lemek ist erst vor zwei Tagen her gekommen, sie hat ihre Familie an Wilderer in der Massai Mara verloren. Sie kränkelt, frisst nicht und vermisst offenbar ihre Mutter. Orwa trauert mit ihr (bei seelischem Stress weinen sie richtige Tränen!) und ist so mitfühlend, dass die Pfleger sie nicht trennen wollten.

Sheldrick ist in ihrem Büro und fasst die monatlichen Aufzeichnungen der Pfleger zusammen, die später per E-Mail an die ca. 20.000 „Elefantenpaten“ versendet wird. Patenschaften generieren den Löwenanteil der Stiftungseinnahmen. Die Geschichte jedes einzelnen Elefanten wurde auf der Website eingestellt, mit Einzelheiten zu ihrer Herkunft, Fotos der Rettung und ihren Fortschritten. Das Patenprogramm wurde von Shelricks 47-jähriger Tochter Angela ins Leben gerufen, die mit ihrem Mann Robert und den zwei Söhnen im Nachbarhaus wohnt.

Die Stiftung beschäftigt 55 Pfleger aus vielen verschiedenen kenianischen Stämmen. „Die Elefanten suchen sich ihre Pfleger aus, wir bringen ihnen nur bei, was sie bei der Haltung beachten müssen“, so Sheldrick. „Sie lernen, wie die Milch zubereitet wird, wie man mit Elefanten umgeht und was sonst noch zu tun ist – danach schaut man einfach, wie die Elefanten auf den Pfleger reagieren. Sie müssen sich in die Elefantenherde integrieren, und das kommt aus dem Herzen. Wenn einer der Jungs das richtige Einfühlungsvermögen für Elefanten hat, merken sie das sofort und fühlen sich zu ihm hingezogen.“

Etwa 140 Elefantenbabys haben die Nursery durchlebt, und Sheldrick sagt, die meisten liebten einen Pfleger am allermeisten: Mishak. „Er ist ein einfacher Mann, spricht nicht viel Englisch, aber er hat diese tiefe Zuneigung für die Elefanten, die ungewöhnlich ist, weil er aus einer Region kommt, wo viel gejagt und gewildert wird. Er bringt einen Elefanten zum Weiterleben, wenn dieser einfach nur sterben will. Also übernimmt er immer die schwierigen Fälle.“

Neue Elefantenbabys werden normalerweise über den Kenya Wildlife Service (KWS, die staatliche Naturschutzbehörde) in die Waisenstation gebracht. Nach dem Schock über den Verlust der Familie und den Stress der Rettungsaktion sind sie oftmals sehr traurig und traumatisiert. „Einige derer, die schon größer sind, wollen aus Rache einfach einen Menschen umbringen. Dieses Gefühl kann nur mit viel Liebe und Fürsorge gelindert werden. Die Waisen müssen überzeugt werden, die Milchflasche anzunehmen und werden mit den anderen Elefanten zusammengeführt, damit sie voneinander lernen können. Die Elefanten kommunizieren ständig in einer eigenen Sprache – sie kollern. Dieses Geräusch ähnelt einem tiefen Brummen. Wir können einen zweijährigen Waisen über Nacht beruhigen und am nächsten Morgen kann er oder sie meistens schon zu den anderen. Aber dann beginnt die Trauerphase, die bis zu mehreren Monaten anhalten kann.“

Die Elefanten, so Sheldrick, sind wie wir. „Nur besser. Sie sind nicht so verdorben. Ihr Familiensinn ist so stark ausgeprägt wie der unsere. Ihr Erinnerungsvermögen ist ganz erstaunlich, ihr kognitives Denken denen der Menschen sehr ähnlich.“ Alle Weibchen haben einen ausgeprägten Mutterinstinkt – sogar die ganz jungen. „Die Hingabe, mit der sie sich umeinander kümmern, ist bei Elefanten viel ausgeprägter als bei Menschen. Loyalität und Freundschaft sind ihr Kredo.“

Ganz wie wir Menschen, sind Elefanten auch gierig nach Nahrung. „Sie bekommen bei uns weder Abfälle noch Äpfel oder Bananen, und unsere Elefanten werden nie von Hand gefüttert. Wir wollen nicht, dass wie später wohlmöglich in menschlichen Siedlungen nach Futter suchen – das wäre ihr Todesurteil.“ In der Nursery bekommen sie nur Milchersatz und natürliches Blattwerk und Zweige. Es dauerte Jahre, bis Daphne Shedrick die richtige Zusammensetzung für die Ersatzmilch gefunden hatte. Der Verdauungsapparat der Elefantenbabys ist sehr sensibel und verträgt keine Kuhmilch bzw. das Fett darin. Heute wird in der Waisenstation SMA Gold Cap Babymilch mit Pflanzenfett und Kokosöl gefüttert, das Pulver erhält die Stiftung von den Herstellern in Form von beschädigten und damit unverkäuflichen Dosen.

Elefanten sind mächtige Tiere. Im Jahr 1994 waren Daphne Sheldrick und ein Freund auf der Suche nach Eleanor, ein besonderer Waisenelefant, der nun schon einige Zeit mit einer wilden Herde zusammen lebte. Sie sah eine Elefantenkuh, von der sie dachte, es sei Eleanor, und als diese auf ihr Rufen reagierte wollte sie ein Foto mit ihr machen. Aber es war eine wilde Kuh. „Törichterweise stand ich genau zwischen ihr und ihren Kälbchen. Sie wollte mich aus dem Weg schaffen und streifte mich mit einem ihrer Stoßzähne.“ Sheldrick landete ungeschickt auf einem Steinhaufen und brach sich das Bein. Die Elefantenkuh kam zu ihr und befühlte ihren Körper mit den Füßen und dem Rüssel und versuchte sie hochzuheben. „Ich fühlte ihre Stoßzähne unter mir und wie sie versuchte, mich hochzuheben. Da wusste ich, dass sie mich nicht töten will. Wenn ein Elefant töten will, kniet er sich herunter und zerdrückt dich mit seinem Kopf.“ Die Flying Doctors wurden gerufen und brachten sie in ein Krankenhaus in Nairobi. Es dauerte 15 Monate, bis sie wieder ganz normal laufen konnte.

Inzwischen war Angela zu uns gestoßen, die nebenan in einem sehr eleganten, selbstgebauten Haus lebt. Sie führt die Stiftung heute und wird von ihrer Mutter unterstützt. Ihr Ehemann, Robert Carr-Hartley, ist Safari-Anbieter. Angela besuchte die Universität in Kapstadt und arbeite anschließend in der Filmindustrie. Nach einiger Zeit war sie völlig ernüchtert und wollte etwas anderes tun. „Ich hatte begriffen, dass das Leben hier zehnmal so bedeutsam ist.“ Inzwischen hat sie zwei Söhne, 11 und 13 Jahre alt, die in Kenia zur Schule gehen. „Für die Zukunft der Stiftung ist gesorgt – sie sagen uns jetzt schon, wie wir sie führen sollten. Mein ältester, Taru, hat Daphnes Talent, und Roan hat die Beobachtungsgabe wie kein anderer.“ Sheldricks älteste Tochter Jill ist ebenfalls aktiv in der Stiftung, lebt jedoch mittlerweile mit Ehemann François und den beiden gemeinsamen Töchtern in Frankreich.

Angela erzählt mir von der mobilen tierärztlichen Einheit und den acht Anti-Wilderer-Einheiten der Stiftung, die eng mit dem KWS zusammen arbeiten. Die Stiftung unterhält auch ein Flugzeug, mit dem das ganze Schutzgebiet in Tsavo abgeflogen wird. “Wir sind bekannt dafür, Elefantenwaisen aufzuziehen, aber die Stiftung ist noch so viel mehr,“ sagt sie. „Die Arbeit wäre sinnlos, wenn wir uns nicht auch um das große Ganze kümmerten.“

Trotz aller Anstrengungen, grassiert die Wilderei in Kenia wie in allen Ländern Afrikas. Die Elefantenzahlen auf dem gesamten Kontinent sind seit 1990 noch einmal von 700.000 auf heute 360.000 gefallen. Die Population in Kenia zählt noch etwa 35.000 Tiere. Die Nachfrage nach Elfenbein steigt seit Kurzem wieder dramatisch und wird noch begünstigt durch Korruption und den Zustrom an Chinesen in Afrika. Im letzten Jahr wurden allein am internationalen Flughafen in Nairobi 100 kg Elfenbein beschlagnahmt. „Die Nachfrage in China ist das große Problem,“ sagt Sheldrick. „Was auf dem Weg in den Fernen Osten konfisziert wird, ist vermutlich nur ein Zehntel davon, was tatsächlich geschmuggelt wird.“

Das namensgebende Horn der Nashörner ist in der Zwischenzeit mehr wert als Gold. „Ich befürchte, dass die Nashörner noch zu meinen Lebzeiten aussterben,“ so Sheldrick. Sie ist erstaunt über die Haltungen, denen sie begegnet. „Ein Chinese erzählte mir einst, dass jedes Lebewesen, dessen Rücken zum Himmel zeigt, essbar ist.“ Sie fügt hinzu, dass viele Chinesen der Meinung sind, dass die Stoßzähne der Elefanten einfach ausfallen wie Milchzähne. Sie haben keine Ahnung, dass Elefanten dafür getötet werden. Sie freut sich, dass ihr neues Buch An African Love Story auch in China veröffentlicht wird.

Sheldrick versteht durchaus, was die Wilderer motiviert: die Preise für Elfenbein sind in den letzten fünf Jahren um das 50-Fache gestiegen, von 300 kenianischen Schillingen pro Kilo (umgerechnet etwa 2,70 Euro) auf 15.000 KSh pro Kilo (ca. 134 Euro). „In diesem Land gibt es keine Sozialhilfe, aber Massenarbeitslosigkeit. Es herrscht eine tiefe Kluft zwischen arm und reich, und diese Preisentwicklung bietet genug Anreize, einen Giftpfeil abzuschießen. Der Stoßzahn eines Elefanten oder das Horn eines Rhinos bringt eine Familie ein ganzes Jahr durch.“

Die Sheldrick-Familie glaubt, dass man die Wilderei nicht hier an der Basis stoppen kann. „Wir haben einfach nicht die Mittel dafür. Tsavo ist so groß wie Wales und heutzutage sind die Wilderer mit automatischen Waffen ausgestattet, die Somalis mit AK-47, oder Giftpfeilen, für die es kein Antidot gibt. Auch die Bestrafung von Wilderern ist willkürlich und inkonsequent. Sind Richter und Wilderer vom gleichen Stamm, wird er wahrscheinlich schon am nächsten Tag wieder frei gelassen.“

Ich fragt die Sheldricks, was sie denn tun würden, um die Wilderei zu beenden. „Zu allererst muss die Korruption aufhören. Sie ist allgegenwärtig in Afrika. Als nächstes muss jeglicher Elfenbeinhandel verboten werden – sowohl der Handel mit legalen Lagerbeständen als auch der mit gewildertem Elfenbein. Dieses Verbot muss weltweit und sehr streng umgesetzt werden.“

Trotz des hohen Ansehens der Nationalparks in Kenia, glaubt Sheldrick, dass der Naturschutz auf der Regierungsagenda ganz unten steht. „Politische Reibereien und die nächsten Wahlen haben Priorität.“ Allerdings, so meint sie, wenn man wieder einmal völlig niedergeschlagen ist, dann sollte man „nach Südafrika schauen. Dort hat man überhaupt kein Mitgefühl; die Wildtiere sind nur Ware. Und auch in Tansania ist die Wilderei noch schlimmer als hier. Die Lage ist hier in Kenia also längst nicht so aussichtslos wie in anderen Ländern Afrikas, besonders dank der jungen Generation. Viele von ihnen haben Universitätsabschlüsse und machen sich Sorgen. Aber sie sind noch nicht an der Macht – sondern immer noch die alte Garde. Unsere Rolle sehe ich als eine Art Übergangsbewegung: wir versuchen, so viel Lebensraum wie möglich zu schützen. Es gibt nur noch wenige Teile des Landes, die nicht erschlossen wurden und wo es noch so viele Wildtiere gibt wie damals, als mein Vater noch hier lebte.“

Ein Großonkel der Sheldricks, Will, folgte zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer Einladung des Gouverneurs der aufstrebenden Britischen Kolonie nach Kenia, wo dieser 20 Familien ansiedeln wollte. Wills Familie stammte ursprünglich aus Schottland und war zwischenzeitlich nach Südafrika gezogen. Die Urgroßeltern der Sheldricks reisten damals mit ihren acht Kindern vom Ostkap in Südafrika nach Kenia. Die älteste Tochter war verwitwet und hatte zwei Söhne, von denen der 7-jährige Bryan einmal eine Tochter namens Daphne haben sollte. „Mein Vater konnte sich gut an die Reise erinnern“, schreibt sie in ihrem Buch. „Ich wurde niemals müde, ihm zuzuhören, wie er erzählte, dass Herden von Wildtieren damals am Wegesrand standen und den Karavan passieren ließen, um sich danach wie ein lebendiger Vorhang wieder zu schließen.“

Es war eine große Herausforderung, und für die Familie völliges Neuland. Die Reise per Zug und Ochsenwagen dauerte mehrere Monate, denn es gab keine Straßen. Sie nahmen ein paar Zuchttiere und Farmzubehör, Werkzeug, Möbel und sonstigen Hausrat mit, den man für das neue Heim brauchen würde. Als Bryan erwachsen war, kaufte er 300 Hektar Farmland in der Nähe von Gilgil im Rift Valley, baute ein Haus aus Steinen und Zedernholz und heiratete Marjorie Webb. Daphne wurde 1934 als drittes von vier Kindern geboren. Sie verlebte eine idyllische Kindheit, umgeben von Tieren. „Ich dachte, es sei völlig normal, dass wenn man im Wald spazieren geht, immer ein Gefolge von Menschen und Tieren dabei ist“, schreibt sie. „Meine Mutter, mein Vater, die Brüder und Schwestern und ich waren immer unterwegs mit unseren Hunden, Impala Bob, Wasserbock Daisy und Ricky-Ticky-Tavey, der kleinen braunen Zwergmanguste.“

Sheldricks Buch lebt von den vielen Erinnerungen an ihre Jugend – die Panik vor einer Heuschreckenplage (die der Gärtner zu ihrer Begeisterung heute in Butter brät und verspeist), Eiscreme hergestellt aus Hagelkörnern (sie hatten keinen Kühlschrank), Ferien im Häuschen der Großeltern in Malindi am Indischen Ozean, die Spaziergänge in den Wäldern und die immer neuen Vögel und Haustiere. Bis sich ihr Leben auf einmal ändern sollte – mit der Ankunft eines verwaisten Buschbock-Kälbchens. Bushy war das erste von mehreren hundert Tierwaisen, die Sheldrick im Laufe ihres Lebens aufgezogen hat und die Vorstufe ihrer Lebensphilosophie – ziehe niemals ein Tierbaby auf, wenn du nicht hundert Prozent sicher bist, dass es danach in der Wildnis völlig unabhängig weiter- und überleben kann.

Im Alter von sechs Jahren kam sie zu ihren Geschwistern ins Internat. Die Ferien verbrachte sie meistens im Safaricamp ihres Vaters in Selengai. Als sie es zum ersten Mal sah, dachte sie „So möchte ich gerne leben, mit den Tieren unter freiem Himmel.“ Sie lag mit ihrer Schwester Sheila im Zelt, lauschte den Geräuschen der Löwen beim Lecken der Zeltplane, in der vorher Salz transportiert wurde. Selbst das nächtliche Sammeln der Zecken fand sie faszinierend. „Überall warenZecken, und obwohl sie uns wie verrückt juckten, war ich angetan von dieser Vielfalt: gestreifte Beine, gepunktete Beine, rote Beine, gelbe Beine, gepunktete Beine mit grünen Streifen…“

In den 1950ern veränderte sich plötzlich ihr ganzes Leben. Mau Mau, eine Bewegung des Kikuyu-Stammes, wollte die Unabhängigkeit Kenias von der Britischen Kolonialmacht und den europäischen Siedlern. Barbarische Übergriffe bedrohten von nun an das Leben der Siedlerfamilien. Die Großeltern der Sheldricks wurden ausgeraubt und zusammengeschlagen. Einer ihrer Angestellten, Kinanda, sollte die ganze Sheldrick-Familie umbringen. Er weigerte sich und bezahlte mit seinem eigenen Leben.

1953 heiratete Daphne Bill Woodley, der als Parkvorsteher im Nairobi Nationalpark arbeitete, und wurde im Alter von 19 Jahren schwanger mit Jill. Mitte der 1950er Jahre beruhigten sich die bürgerkriegsähnlichen Zustände durch die Mau Mau Bewegung und Woodley begann, mit David Sheldrick zusammen zu arbeiten. David Sheldrick hatte im zweiten Weltkrieg als Major für die King’s African Rifles gedient [ein in Ostafrika unter britischer Kolonialherrschaft gebildetes Infanterieregiment, Anm. d. Ü.]. Die beiden Männer erschlossen Tsavo, einen neuen Nationalpark, aus dem erbarmungslosen Buschland der Taru-Wüste. Tsavo erstreckte sich über ca. 13.000 km-² und war das einzige Stück großes und brauchbares Land, das die Regierung sich leisten konnte, zum Schutz ihrer Natur beiseite zu legen. Schon damals sank die Zahl der Wildtiere durch Wilderei.

Daphne nahm zwei Elefantenwaisen auf, die Sheldrick gerettet hatte, Samson und Fatuma, und wurde in ihren Bann gezogen. Sie teilte ihre Zeit auf zwischen der Büroarbeit zur Erstellung von Akten aller Wilderer und ihre Tochter Jill, die glücklich mit den Elefanten spielte. Ihre Ehe bröckelte allmählich und Daphne fühlte sich mehr und mehr zu Sheldrick hingezogen. Sie trennte sich von Woodley und zog Ende 1958 nach Nairobi, kehrte aber schließlich nach Tsavo und zu Sheldrick zurück, und die beiden heirateten im Oktober 1960.

Die folgenden 17 Jahre ihres Lebens waren geprägt von einem nicht enden wollenden Strom an Tierwaisen: eine verdreckte Manguste namens Higgetly, eine Zibetkatze genannt Old Spice, die von Davids Aftershave dermaßen besessen war, dass sie täglich damit eingerieben werden musste. Da war Gregory Peck, ein kleiner Büffelweber, der auf ihrer Schulter saß, ein Nashorn mit Namen Rufus und Huppety, ein Zebrafohlen. Daphnes und Davids Tochter Angela wurde im Juli 1963 geboren, und nach wenigen Jahren ritt sie bereits auf Rufus.

Es scheint schwer, sich von dieser Idylle nicht in seinen Bann ziehen zu lassen – aber es gab auch eine dunkle Seite. Der Krieg der Wilderei tobte bereits: in einem Teil des Parks hatten sie 1.280 tote Elefantenkörper entdeckt, unter ihnen etwa 200 Elefantenbabys, die neben ihren geschlachteten Müttern lagen. Langsam aber sicher, besonders durch die Anstrengungen von Sheldrick, konnte dieser Zustand unter Kontrolle gebracht werden. Die Elefanten begannen zu verstehen, dass Tsavo ein Schutzgebiet war, sie fühlten sich wieder sicher und vermehrten sich.

Dank Samson, Fatuma und viele andere lernten die Sheldricks unglaublich viel über die Sprache der Elefanten. Am meisten lernte Daphne von Eleanor, die im Alter von zwei Jahren als Waise im Samburu-Nationalreservat gefunden wurde – neben dem leblosen Körper ihrer Mutter, aus deren Kopf die Stoßzähne entfernt worden waren. Daphne gelang es, die Behörden zu überzeugen, Eleanor mit nach Tsavo zu nehmen, wo sie 1965 mit ihr ankam. Ganz zur Freude von Samson, und in den nächsten 30 Jahren kümmerte sie sich um viele der Waisen, die ihr noch folgen sollten.

Samson gelang schließlich der Weg zurück in die Wildnis, doch sein Tod ist eines der traurigsten Kapitel in Daphnes Buch. David hatte ihn als Waise gerettet und aufgezogen. Zwanzig Jahre später hatte er ihn allein am Galana-Fluss entdeckt: furchtbar abgemagert und schwer verletzt. Eines seiner Beine war durch einen Giftpfeil auf das Dreifache angeschwollen, und David blieb nichts weiter übrig, als ihn zu erschießen.

Manche Stellen aus dem Buch lesen sich wie ein Disneyfilm. Einmal führte Ali, ein Elefantenpfleger, seine Schützlinge in den Busch, wo sie auf zwei Wilderer stoßen, die gerade die Stoßzähne aus einem toten Elefanten hackten. Eleanor, schreibt Sheldrick, beschnüffelte den Körper, legte ihren Fuß auf den Kopf des Elefanten, brach die Stoßzähne an der Bruchstelle aus dem Oberkiefer und schleuderte sie mit ihrem Rüssel ins Gebüsch. „Es war, als ob sie trotz ihres wohlbehüteten Lebens verstand, warum sie hier war.“ Die Wilderer hatten furchtbare Angst und ergaben sich.

Die Wilderei verschlimmerte sich, als der Preis für Elfenbein in den 1970er Jahren anstieg. Zwischen 1970 und 1977 verlor Kenia die Hälfte seiner Elefanten. 1976 wurden die Nationalparks in Kenia verstaatlicht (vorher wurden sie von unabhängigen Initiativen geführt). „Es war der Anfang einer tragischen, furchtbaren, schwarzen Periode der stolzen Geschichte der kenianischen Nationalparks“, schreibt Sheldrick. „Für ihre wilden Bewohner, besonders Nashörner und Elefanten, war dies der Todesstoß.“

David wurde Oberaufseher für alle Nationalparks und Schutzgebiete. Es bedeutete, sie mussten Tsavo verlassen, und Sheldrick war todunglücklich. David musste 30 Jahre Arbeit zurücklassen und Daphne ihre Waisen, „in dem Wissen, dass einer der Regierungsbeamten ihren Platz einnehmen würde, von denen die meisten eingefleischte Jäger waren.“ Sie war am Boden zerstört, als sie Eleanor, die Elefanten und ihren wunderschönen Garten zurück lassen musste.

Im Dezember 1976 nahmen sie die Arbeit im Nairobi Nationalpark auf; und im Sommer darauf starb David an einem Herzinfarkt. Er hatte bis dahin so viel erreicht, mit seinem Wissen über die Natur, seiner Elefantenforschung und dem Aufbau von Tsavo. „Es gab nur eine Handvoll Männer, die sich nach dem Krieg, während der Kolonialzeit, Mau Mau, der Unabhängigkeit und darüber hinaus für den Naturschutz eisetzten,“ so Naturschützer Tony Fitzjohn, „und David war einer der Besten.“

Sheldrick hätte ihr Buch auch gern mit Davids Tod enden lassen, aber es sollten noch Seiten für 30 weitere Jahre vollgeschrieben werden. Sie musste weitermachen. Das hatte sie, sagt sie heute, von den Elefanten gelernt. Nachdem sie ihren Mann beerdigt hatte, erhielt sie die Erlaubnis der Regierung, im Nairobi Nationalpark ein Haus zu bauen. Sie hatte gerade begonnen, Artikel über Wildtiere zu schreiben, als sie einen Anruf des Leiters der Parkbehörde bekam, der sie bat, ihm mit zwei Elefantenwaisen zu helfen, die gerade am Hauptquartier des Parks eingetroffen waren. Mit Geduld und Hingabe nahm Sheldrick diese Aufnahme wahr und fuhr mehrmals täglich in die Auffangstation am Hauptquartier, wo sie die Babys mit Milch fütterte. Es dauerte ein Jahr, und dann bekam sie die Erlaubnis, dass sie in Tsavo in die Obhut von Eleanor gelassen werden durften.

Von da an ging es vorwärts. Ein Freund der Sheldricks tauchte mit einem Elefantenbaby auf, das er in einem Gully gefunden hatte – „um sie aufzuheitern“. Sie und Jill versorgten die Wunden des Babys und Jill musste ihm sein Kinderzimmer überlassen, weil sie nicht wussten, wo sie ihn sonst unterbringen sollten. Das war ein Wendepunkt – sie entschieden, dass wenn weitere Waisen gerettet würden, sie Unterbringung, Ausrüstung, Spenden und Unterstützung brauchten. Der David Sheldrick Wildlife Trust wurde 1977 ins Leben gerufen.

Am nächsten Tag komme ich noch einmal zur Nairobi-Nursery, wo Angelas Söhne ein Warzenschwein mit gebrochenem Bein hinter sich herziehen. Abdi, der stellvertretende Chef-Pfleger, führt mich zu Lemek. Sie liegt auf einer Matte unter einem Baum und ist mit einer Decke zugedeckt. Mishak hält einen Regenschirm, damit sie nicht in der prallen Sonne liegen muss. Ein winziger Fuß und eine kleine Rüsselspitze lugen unter der Decke hervor, ab und zu werden sie von Mishak gestreichelt. Mishak arbeitet seit 20 Jahren für die Elefanten. „Ich weiß nicht, ob sie durchkommt“, sagt er resigniert.

Lemek hat es nicht geschafft. Sie wollte keine Milch annehmen. Sie wurde an eine Infusion gelegt und bekam Antibiotika, weil vermutet wurde, sie hätte eine Magen-Darm-Infektion. Es ist nicht üblich, dass Elefanten so ganz und gar nichts fressen. Die Autopsie ergab, dass sie verhungerte. Man kann einen Elefanten nicht zum Fressen zwingen. Sie wollte einfach nicht mehr leben.

 

Erschienen in The Telegraph am 24. Februar 2012 http://www.telegraph.co.uk/news/9100415/The-woman-who-fosters-elephants-in-Kenya.html

von Jessamy Culkin, übersetzt von Kristina Rösel (REAeV)