Die Rettung von Esoit

 

Ein Anruf beim Sheldrick Wildlife Trust (SWT) am Abend des 3. Mai 2021 löste Besorgnis aus: Eine schwer verletzte Elefantenkuh war in den Chyulu-Bergen gesichtet worden. Ihr rechtes Hinterbein schien gebrochen zu sein, offenbar als Folge eines schweren Sturzes in dem felsigen Gebiet, und sie konnte nicht mehr laufen. Sie schleppte sich mehr oder weniger sitzend voran und hatte dabei größte Schwierigkeiten. Noch dazu hatte sie zwei Kälber dabei, eines davon ein kleines, noch milchabhängiges Baby, das andere etwa sieben Jahre alt.

Als die mobile Tierarzteinheit von SWT und Kenya Wildlife Service (KWS) aus Amboseli vor Ort ankam, war zu sehen, in welcher prekären Situation die Elefanten steckten. Die Kuh und ihre beiden Kälber befanden sich in einer felsigen Gegend aus Vulkangestein, in der es nirgends Wasser gab. Kurz zuvor war noch eine Herde bei ihnen gewesen, die aber wohl inzwischen auf der Suche nach Wasser weiter gezogen war. Der lange Weg ins Tag war aber zuviel für die verletzte Kuh, und so steckte sie mit ihren Kälbern fest. Zwei erwachsene Bullen waren noch in der Nähe und hatten es sich offenbar zur Aufgabe gemacht, auf die kleine Familie aufzupassen; häufig übernehmen Elefantenbullen in solchen Situationen die Rolle des Beschützers.

Nach ausführlicher Beratung beschlossen die Ranger des KWS schweren Herzens, dass die einzig sinnvolle Lösung ist, die Kuh einzuschläfern. Daraufhin begannen beim SWT sogleich die Vorbereitungen für eine Rettungsaktion des kleinen Babys. Bei Sonnenaufgang am nächsten Morgen stiegen einige der erfahrensten Keeper in Nairobi in eine Cessna Caravan, die sie zum Flugfeld in Ol Donyo brachte, von wo aus sie mit einem Hubschrauber des SWT in die bergige Region in den Chyulu-Bergen weiter flogen. Tierarzt Dr. Kariuki und die mobile Tierarzteinheit beobachteten unterdessen das Geschehen rund um die Elefanten.

Glücklicherweise hatten inzwischen die Bullen und die beiden Kälber begonnen zu grasen und waren so ein Stück von der bewegungsunfähigen Kuh entfernt. Mit dem Helikopter wurden die beiden Bullen vorsichtig noch ein Stück weiter in den Wald vertrieben, sodass die Keeper gefahrlos das jüngere Baby einfangen konnten. Alle Beteiligten hatten mit einigen Schwierigkeiten gerechnet, aber am Ende verlief alles recht problemlos!

 

 

 

 

 

 

Danach wurde es allerdings kompliziert. Da das Kalb schon recht schwer war, konnte nur ein Keeper im Helikopter mit ihm mit kommen. Bei ihrer Ankunft am Flugfeld, wo das Flugzeug nach Nairobi wartete, waren daher nur drei Leute vor Ort – der Keeper und der Hubschrauberpilot sowie der Pilot der Cessna – um den kleinen Elefanten umzuladen – normalerweise sind dafür sechs kräftige Männer nötig! Die drei mussten all ihre Kräfte zusammennehmen, denn es blieb nicht viel Zeit: Der Hubschrauber musste schnell zur Tierarzteinheit zurückkehren, damit Dr. Kariuki die Kuh aus der Luft betäuben konnte. Danach stiegen die anderen Keeper wieder ein und wurden zurück zum Flugfeld gebracht.

Einen Elefanten einzuschläfern ist immer die allerletzte Option, doch in diesem Fall gab es keinen anderen Ausweg. Die Kuh hatte schon so große Schmerzen, dass sie nicht mehr stehen konnte, geschweige denn zu frischem Wasser laufen! Es flossen einige Tränen bei den Beteiligten, als sie ihre Augen für immer schloss – aber die Helfer trösteten sich mit dem Wissen, dass ihr Leiden nun ein Ende hatte.

 

 

 

Auch wenn diese wunderbare Elefantenkuh nicht mehr gerettet werden konnte, so bekommt nun immerhin ihr kleines Baby eine zweite Chance. Ihr älteres Kalb blieb bei den beiden Bullen und wird in guten Händen sein, wenn sie sich wieder ihrer Herde anschließen. Auch wenn es sicherlich schmerzlich für die beiden Brüder ist, dass sie getrennt wurden, war es doch die einzige Möglichkeit, dem milchabhängigen Baby eine Chance zum Überleben zu verschaffen.

All das spielte sich in der Nähe eines großen Vulkanfelsens, der „Esoitpuss“ genannt wird, ab. Es ist ein bläulich schimmernder Gesteinszug und wird häufig umschwirrt von unzähligen Geiern. In der Sprache der Maasai, die dort leben, bedeutet „esoit“ soviel wie Felsen, und „puss“ bezeichnet seine blaue Farbe. Der gerettete kleine Bulle wurde daher Esoit genannt, ein Name, der immer an die Gegend, aus der er stammt, erinnert.

 

 

 

 

 

 

Und es ist ein passender Name! Esoit scheint nämlich ein steinharter Bursche zu sein, den nichts so leicht aus der Bahn wirft, nicht einmal seine traumatische Rettungsaktion. Er gewöhnte sich sofort an das Leben im Waisenhaus und freundete sich ohne Probleme mit den Keepern an. Jeder einzelne Elefant hat seinen eigenen, ganz besonderen Charme, aber Esoit ist ein besonders bezauberndes kleines Kalb! Er hat helle Augen und ein wunderbares rundes Gesicht, und mit seiner verschmitzten Art hat er im Nu eine Schar von Bewunderern gefunden, sowohl unter den Menschen als auch seinen Artgenossen. Eine Besonderheit an ihm ist, dass sein rechtes Hinterbein versteift ist – möglicherweise hat er als ganz kleines Baby einmal eine Verletzung dort erlitten, die das ausgelöst hat. Es scheint ihm allerdings keinerlei Probleme mehr zu bereiten, denn er wuselt genauso flink herum wie die anderen Elefantenwaisen auch.

 

 

 

 

 

 

 

Erstaunlicherweise ist Roho einer seiner größten Fans geworden! Die beiden Jungs sind in benachbarten Ställen einquartiert, und das fördert häufig die Freundschaft unter den kleinen Elefanten. Die beiden vergnügen sich tagsüber draußen im Wald, rollen sich im Schlamm herum und machen Tauziehen mit Zweigen von den Bäumen. Auch nachts sind sie immer wieder miteinander beschäftigt, umrüsseln sich durch die Abtrennung zwischen ihren Ställen hindurch und stibitzen sich gegenseitig das Grünfutter. Und sogar der schüchterne Naboishu, der dafür bekannt ist, ab und zu etwas ruppig zu den anderen zu sein, geht mit Esoit sehr freundlich um.

Auch wenn natürlich seine eigene Mutter nicht zu ersetzen ist, wird Esoit doch in einer fürsorglichen Umgebung inmitten einer liebevollen neuen Familie aufwachsen. Er ist schon nicht mehr wegzudenken aus der Waisenherde in Nairobi, und wenn er einmal alt genug ist, wird er wieder in die Wildnis zurückkehren können.

 

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(übersetzt aus dem englischen Original; alle Bilder © Sheldrick Wildlife Trust)