Freud und Leid bei den Ex-Waisen im Tsavo Ost Nationalpark

(Zusammengefasst aus folgenden Berichten des Sheldrick Wildlife Trust: Mweya’s Journey Home to Debut Mojo, The Tragic Loss of Mojo, Welcoming Wendi’s New Daughter, Wimbi, Melia’s Extraordinary Ithumba Birth; alle Bilder © Sheldrick Wildlife Trust)

Die ehemaligen Waisen-Elefanten des Sheldrick Wildlife Trust (SWT), die jetzt in der Wildnis leben, überraschen die Keeper der Auswilderungsstationen in Ithumba und Voi immer wieder mit Besuchen, bei denen sie auch ihre wild geborenen Babys mitbringen. So war es auch im Oktober dieses Jahres – auch wenn diesmal Freund und Leid eng beieinander lagen.

Auf dem Höhepunkt der schrecklichen Dürre, die zur Zeit wieder in Kenia herrscht, tauchte Mweya an den Stallungen in Voi auf. Sie hatte offenbar eine lange Reise zur Auswilderungsstation hinter sich, zusammen mit Eden, der sieben Jahre alten Tochter von Edie, ihrem eigenen erstgeborenen Mwitu, jetzt drei Jahre alt – und einem neuen Kalb, einem winzigen kleinen Bullen! Die Keeper nannten ihn Mojo, ein sehr aufgeweckter kleiner Bursche. Überhaupt waren die vier in einem recht guten Zustand, angesichts der schwierigen Verhältnisse. Über die nächsten Tage hielten sie sich in der Nähe der Stallungen auf und kamen häufig vorbei, um sich etwas Luzerne und Wasser abzuholen und sich auszuruhen.

Nach ein paar Tagen waren sie allerdings wieder verschwunden. Das ist nicht ungewöhnlich, denn die Ex-Waisen ziehen frei in der Wildnis umher, und Mweya ist mit ihren 21 Jahren erfahren genug zu wissen, wie und wo man sich in diesen Zeiten am besten durchschlägt. Aber die verheerende Dürre macht vor niemandem Halt: Nach gut einer Woche tauchten Mweya, Mwitu und Eden wieder an der Auswilderungsstation auf – und den Keepern bemerkten voller Schreck, dass der kleine Mojo nicht bei ihnen war. Sie wissen, dass eine Elefantenmutter niemals ihr neugeborenes Kalb zurücklassen würde, es sei denn, es gibt keinen anderen Ausweg mehr. Dass sie ihn nicht mehr bei sich hatten, konnte nur bedeuten, dass er ein weiteres Opfer der Dürre geworden war.

Was genau sich zugetragen hatte, wird nie geklärt werden können. Theoretisch hätte Mojo wohl auch Raubtieren zum Opfer gefallen sein können, aber dann hätten sicherlich auch die anderen sichtbare Spuren eines Kampfes davongetragen. So bleibt uns wie auch Mweya und ihrer Familie nur, um den Kleinen zu trauern, aber ansonsten alles dafür zu tun, dass es den lebenden Elefanten gut geht. Das Leben muss weitergehen.

Da tröstet es ein wenig, dass es bei den Ex-Waisen in Ithumba sogar doppeltes Babyglück gab. Am Sonntag, den 9. Oktober, war dort Wendi an den Stallungen erschienen – und hatte ein neugeborenes Kalb im Schlepptau! Wendi ist immer für einen spektakulären Auftritt gut, und an diesem Morgen war sie sichtlich stolz, die Geburt ihres dritten Kalbs mit den Keepern zu feiern.

Nachdem sie vor fast sieben Jahren ihre erste Tochter Wiva zur Welt gebracht hatte, war sie eine eher ungewöhnliche Mutter: Sie versorgte Wiva mit all der Milch, die ein kleines Elefantenkalb benötigt, überließ allerdings das Bemuttern größtenteils ihren Freundinnen. Das änderte sich, als im November 2019 ihre zweite Tochter Wema zur Welt kam. Wieder stellte sie die Kleine ein paar Stunden nach ihrer Geburt an der Auswilderungsstation vor, und diesmal ging sie richtig in ihrer Rolle als Mutter auf – was die Keeper zuvor kaum für möglich gehalten hätten!

Und nun ist sie tatsächlich Mutter von drei kleinen Elefantenmädchen. Die kleinste, die von den Keepern Wimbi genannt wurde, ist ein kleiner Augenstern: gesund und putzmunter, trotz der gegenwärtigen schweren Dürre. Wiva ist eine vorbildliche große Schwester, nur Wema scheint ein wenig eifersüchtig zu sein. Aber sicher wird sie ihre kleine Schwester bald genauso gern haben wie Wendis Freundinnen Makireti, Nasalot, Galana, Makena, Loijuk, Ishanga und Lenana, die sich alle als Kindermädchen betätigen.

Die aufregendste Baby-Show ereignete sich aber am 29. Oktober 2022 kurz nach Sonnenaufgang, als es eine Geburt direkt bei den Stallungen gab! Die Ex-Waisen haben es sich zur Angewohnheit gemacht, sich in der Nähe der Auswilderungsstationen aufzuhalten, wenn eine Geburt bevorsteht. Zu Weihnachten 2014 hatte Ex-Waise Emily ihre zweite Tochter direkt außerhalb der Stallungen in Voi zur Welt gebracht. In Ithumba war das aber bisher noch nicht geschehen.

An besagtem Morgen allerdings, als gerade wieder etliche wilde Elefanten und Ex-Waisen vor der Auswilderungsstation in Ithumba versammelt waren, wie es in der Trockenzeit häufig vorkommt, bemerkte Chef-Keeper Benjamin wachsende Unruhe und Bewegung unter den Herden. Inmitten der vielen Elefanten war etwas zu Boden gefallen, und wilde Bullen rannten mit wedelnden Ohren und lautem Trompeten in Richtung der umliegenden Hügel. Doch auch die anderen Elefanten schienen etwas verwirrt zu sein, sogar die älteren Kühe, die normalerweise recht ausgeglichen sind, fingen an, sich zurückzuziehen!

Noch bevor Chef-Keeper Benjamin ganz mitbekommen hatte, was passiert war, kamen Melia, Loijuk, Kinna, Kitirua, Kalama und Olare angerannt, und er erkannte, dass ein winziges Kalb zur Welt gekommen war, noch teilweise umhüllt von Plazenta. Ganz ohne besondere Vorwarnung hatte Melia einen kleinen Bullen geboren! Sie war in den letzten Monaten schon immer dicker und runder geworden, aber da sie auch sonst ein eher großer Elefant ist, war es schwierig vorherzusagen, wann es so weit sein würde. Sie war sogar am Abend zuvor noch an den Stallungen gewesen, aber nichts hatte auf das große Ereignis hingedeutet.

Melia selbst war anscheinend genauso erstaunt wie die Keeper, dass sie plötzlich Mutter geworden war, und schaute verwirrt auf das winzige Baby vor ihr. Aber ihre erfahrenen Freundinnen halfen ihr, und Loijuk, Mutter der drei Jahre alten Lili, hob das Kalb mit ihren Vorderfüßen auf die Beine. Die Bullen in der Nähe starrten die ganze Zeit gebannt auf die Szene, aber hielten gebührend Abstand  – offenbar war ihnen die ganze Szene nicht geheuer! Schließlich fing sich auch Melia, umrüsselte das Baby liebevoll und half ihm dabei, an ihre Zitzen zu kommen und das erste Mal zu säugen. Im Laufe des Tages gewöhnte sie sich dann an ihre neue Rolle und schien unglaublich stolz, so ein kleines Wunder hervorgebracht zu haben. Sie tätschelte ihren Baby-Bullen immer wieder mit dem Rüssel. Die Keeper nannten ihn „Milo„, was soviel wie „Liebling“ bedeutet.

Melia hatte sich bisher noch nicht sonderlich für Babys interessiert, und die Mutterrolle ist etwas Neues für sie. Aber sie bekommt Hilfe von etlichen anderen Kühen: Kalama und Olare, die im selben Jahr wie Melia gerettet worden waren, kümmern sich liebevoll um den kleinen Milo, und Loijuk, Wendi, Kinna und Nasalot, alle selbst schon erfolgreiche Mütter, helfen auch immer wieder aus. Sities hat sogar den kleinen Mambo ganz der Obhut seiner Mutter überlassen, um sich zu Melias Haupt-Kindermädchen aufzuschwingen. Wie immer nimmt sie ihre Rolle sehr ernst und sorgt dafür, dass kein neugieriger Elefant an Milo herankommt.

Auch unsere Waisen, die Babys sehr lieben – allen voran Malkia, Mteto und Maramoja – wollten natürlich Milo direkt nach seiner Geburt kennenlernen, doch seine Kindermädchen schirmten ihn hermetisch ab. Am nächsten Tag hatte Sities jedoch ein Einsehen und erlaubte ihnen, ihm „hallo“ zu sagen. Die Mädchen waren hin und weg; eine Stunde lang spielten sie sich als Milos Beschützerinnen auf und schubsten alle jungen Bullen, die vorbeikamen, energisch zur Seite!

Obwohl er inmitten der schweren Dürre geboren wurde, ist Milo ein gesundes und – ganz wie früher seine Mutter – kräftiges kleines Kalb. Er ist zwar erst ein paar Tage alt, aber schon fast so groß wie die drei Wochen ältere Wimbi oder sogar der sieben Monate alte Mambo! Und für Melia, die 2009 im Tsavo-Ost Nationalpark ganz ohne ihre Familie aufgefunden wurde, in den letzten 13 Jahren in der Obhut des SWT groß geworden und wieder ausgewildert ist, beginnt jetzt ein neues Kapitel in ihrem Leben – als Mutter. Wenn alles gut geht, könnten dem kleinen Milo an die 70 Jahre Leben in Freiheit in der Wildnis Tsavos bevorstehen, und alle Anwesenden sind begeistert, Zeugen seiner Geburt gewesen zu sein.