Luggard und Enkesha ziehen nach Umani Springs um

Der 31. Mai 2020 war ein besonderer Tag beim Sheldrick Wildlife Trust (SWT) in Kenia. An diesem Tag sollte Waisenelefant Luggard – von allen auch Löwenherz genannt – und seine Freundin Enkesha aus dem Waisenhaus in Nairobi zur Auswilderungsstation in Umani Springs umziehen. Solche Umzüge sind immer ein großer Moment, ganz besonders für diese beiden tapferen Elefantenkinder.

Luggard war vier Monate alt, als er mit seiner Familie ins Kreuzfeuer bewaffneter Menschen geriet. Sein linkes Bein wurde von etlichen Kugeln getroffen und dabei das Knie komplett zertrümmert, sodass er kaum noch laufen konnte. Enkesha war auch erst ein Baby, als sie sich mit dem Rüssel in einer metallenen Schlinge verfing. Diese zog sich dann zusammen, sodass sie ihren Rüssel fast vollständig durchtrennte. Die beiden haben sich in den Jahren, die seitdem vergangen sind, erstaunlich gut von ihren schweren Verletzungen erholt, aber beide sind sie natürlich für ihr Leben gezeichnet. Luggard hinkt immer noch stark, und so war für den großen Tag einiges an Planung nötig!

Beim SWT sind in der Vergangenheit schon andere Elefantenwaisen mit schweren Verletzungen großgezogen worden, wie zum Beispiel Murera, der es ganz ähnlich ging wie Luggard. Die Auswilderungsstation in Umani Springs wurde genau für solche Fälle gebaut – Murera war die erste, die seinerzeit dorthin gebracht wurde. Elefanten, die Schwierigkeiten beim Laufen haben, können in der Trockenzeit nicht Hunderte von Meilen durch die Wildnis Tsavos laufen, um nach Futter zu suchen. Sie brauchen eine Umgebung, in der sie das ganze Jahr über genug Wasser und Futter finden, und die Gegend um die Umani-Quellen im Kibwezi-Wald – direkt angrenzend an den Chyulu Hills Nationalpark – ist ein wahres Paradies in dieser Hinsicht. Der SWT übernahm den Wald im Jahr 2008 vom Kenya Forest Service mit der Maßgabe, ihn zu schützen und zu bewahren. Er wird von Rangern und Flug-Patrouillen überwacht, und inzwischen haben sich dort wieder allerlei Arten wilder Tiere angesiedelt – darunter auch viele Elefanten! Es ist ein hervorragendes Gebiet für die Waisen mit lebenslangen Behinderungen. Und da Luggard und Enkesha nun bereit sind, das Waisenhaus zu verlassen, liegt nichts näher, als dass sie von nun an in Umani Springs leben.

 

 

 

 

 

 

 

Alle erwarteten den Umzugstag mit Spannung, denn Luggard war viele Jahre lang Mitglied der Waisenherde in Nairobi und wird ganz sicher von allen dort vermisst werden, die ihn die ganze Zeit begleitet haben. Enkesha, die sich von nichts aus der Ruhe bringen lässt, wird einen beruhigenden Einfluss auf ihn haben und ist daher eine ausgezeichnete Begleiterin in ihrem neuen Zuhause. So wurden die beiden am frühen Morgen des 31. Mai zum Umzugs-LKW gebracht. Viele Waisen sind in diesem Moment nervös, aber Luggard und Enkesha vertrauen den Keepern, die sie von klein auf gesund gepflegt und aufgepäppelt haben, und zögerten nicht, einzusteigen. Als der Konvoi das Waisenhaus verließ, schien Luggard etwas verwirrt zu sein, aber bald ließ er sich von Enkeshas Ruhe und Gelassenheit anstecken und beruhigte sich wieder. Während der Reise waren auch die Keeper zur Stelle, die an den Abteilen entlang gingen, den beiden Elefanten gut zuredeten und acht gaben, dass es ihnen nicht an Futter und Wasser fehlte.

 

 

 

 

 

 

 

Um 6:30 Uhr, als gerade die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne durch die Spitzen der Bäume drangen, passierte der Transporter das Tor zum Kibwezi-Wald. Die Keeper der Auswilderungsstation waren schon gespannt auf die beiden Neulinge; ihre eigenen Schützlinge wachsen und gedeihen prächtig, und manche von ihnen wildern auch schon langsam aus! Die Herde hatte auch schon mitbekommen, dass etwas besonderes passieren würde und wartete vor den Toren der Stallungen. Der Umzugs-LKW hatte noch nicht einmal angehalten, da war Lima Lima schon herbei gelaufen und konnte es kaum erwarten, die neuen Freunde darin zu begrüßen! Enkesha kam unbekümmert heraus, doch Luggard folgte ihr vorsichtig und mit großen Augen und schien nicht so recht zu wissen, was er davon halten sollte. Es dauerte aber nicht lange, bis er sich inmitten seiner neuen, freudig kollernden Familie wiederfand und er sich keine Sorgen mehr machen musste. Die Kühe der Umani Springs Waisenherde umringten die Neuankömmlinge begeistert.

 

Luggard fühlte sich bei Murera und Sonje sofort wohl; die beiden sind zwar viel größer als er, aber sie können ihm genau die Fürsorge geben, die er braucht. Enkesha war sofort in ihrem Element und freundete sich erst einmal mit all dem Überfluss an Grün an, das hier zum Fressen bereit steht; Lima Lima, Zongoloni und Quanza ließen sie jedoch nicht aus den Augen. Da viele der Waisen in Umani Springs selbst mit lebenslangen körperlichen Beeinträchtigungen zu kämpfen haben, waren sie sehr aufmerksam, was Luggards Knie und Enkeshas Rüssel betraf – sie betätschelten und beschnüffelten sie vorsichtig und interessiert.

 

 

 

 

 

Es war rührend zu sehen, mit wie viel Liebe und Zuneigung Luggard und Enkesha vom ersten Moment an von den Waisen in Umani Springs empfangen wurden. Sogar die Bullen waren sehr nett zu ihnen und hatten es nicht eilig, in den Wald zu ihren wilden Freunden zu verschwinden. Im Laufe des Tages lernten sie dann die Umgebung kennen, gingen zum Schlammbad und zu ihrer ersten Milchfütterung und ruhten sich dann im Schatten einer großen Schirmakazie ein wenig aus. Murera und Sonje standen Wache. Gegen 17 Uhr folgten sie dann ihrem vertrauten Keeper Peter aus Nairobi, der mit ihnen mit gefahren war, zurück zu den Stallungen.

 

Am Abend stellte sich heraus, dass die Aufregung noch zu groß war, als dass viel geschlafen werden konnte! Die älteren Waisen drängelten sich um Luggards und Enkeshas Gehege, und die Keeper mussten sie eine ganze Weile überreden, schließlich in ihre eigenen Gehege zu gehen. Murera gab keine Ruhe, sodass sie schließlich zu den beiden Neulingen gelassen wurde, womit sie zufrieden war. Während der Nacht weckte sie dann aber die beiden kleinen jedesmal, wenn sie sich selbst hinlegen wollte, und so brachten die Keeper sie wieder zurück in ihr eigenes Gehege. So fanden Luggard und Enkesha schließlich unter dem herrlichen Sternenhimmel von Umani Springs doch noch etwas Schlaf.

Die Elefantenwaisen im Kibwezi-Wald sind bemerkenswerte Tiere. Sie erinnern uns immer wieder daran, wie sehr die Menschen den Tieren der Wildnis zu schaffen machen. Aber sie sind auch ein Zeichen der Hoffnung! Sie haben scheinbar unüberwindliche Hürden gemeistert und grausame Verletzungen, meist durch Menschenhand, erlitten – und doch können sie ihnen vergeben und nun wieder ein relativ glückliches Leben führen: Murera, die beinahe ihr Bein und ihr Leben wegen einer vergifteten Falle verloren hätte; Sonje, in deren verhärtetem Knie immer noch eine Gewehrkugel steckt; Mwashoti, dessen Fuß fast von einer Schlinge abgetrennt worden wäre; und natürlich Zongoloni und Quanza, die mitansehen mussten, wie ihre Mütter in Amboseli von Wilderern auf der Jagd nach Elfenbein niedergemetzelt wurden. Jetzt haben sich ihnen auch Enkesha und Luggard angeschlossen, die ebenfalls ihre schreckliche Vergangenheit hinter sich gelassen haben. In Umani Springs werden sie weiter zurück ins Leben finden und dort schließlich finden, was ihnen einmal genommen wurde: ein freies Leben in der Wildnis.

 

(übersetzt aus dem englischen Original; alle Bilder © Sheldrick Wildlife Trust)