Shida & Tano ….

Es begann alles ganz harmlos… Nashornwaise Shida machte sich am frühen Morgen des 10. Februar 2011 auf den Weg in den Busch, gerade als auch die Waisenelefanten unterwegs waren. Die ausgebuffte Tano ging unterdessen ihrer Lieblingsbeschäftigung nach und jagte Warzenschweine und sonstige mögliche Eindringlinge davon und fiel hinter dem Rest der Gruppe zurück. Während die Keeper versuchten, die Elefanten auf die Seite von Shidas Pfad zu dirigieren, rannte Tano direkt auf ihn zu, weil sie mit ihm spielen wollte. Am Anfang war Shida sehr freundlich, aber als Tano stolperte, schaltete er in seinen angeborenen „Tötungsmodus“, wie es für diese alten Dickhäuter ganz normal ist.

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Er schleuderte Tano umher, hob sie in die Luft und versuchte, sie mit seinem Horn zu attackieren. Wie ein Wunder stieß er damit unter ihrem Körper hindurch, anstatt mitten in sie hinein und rollte sie auf dem Boden umher. In diesem Moment war einer der Keeper schon dabei, Baby Naipoki aus dem Kreuzfeuer zu holen und zurück zum Stall zu bringen, während alle anderen mit ihren Schützlingen zusammen versuchten, Tano aus Shidas Fängen zu befreien. Sie warfen mit Steinen nach Shida und schlugen mit allem, was sie finden konnten, auf ihn ein, um Tano zu retten. Es war das absolute Chaos – überall schrien und brüllten sowohl Elefanten als auch Menschen, aber Shida ließ sich überhaupt nicht beirren! Bis ihn schließlich ein Stein ins Gesicht traf, gerade als er Tano gegen einen Baum drückte. Es fehlte nicht viel, und er hätte sie umgebracht. Der Schlag ins Gesicht legte seinen Schalter wieder um, und er ließ endlich von seinem Opfer ab.

Es wird uns für immer ein Rätsel bleiben, wie Tano unbeschadet aus dieser Sache herauskam! Wir befürchteten innere Verletzungen, denn ein 8-jähriges Nashorn ist nicht gerade ein Leichtgewicht, und Shida hat ein starkes und spitzes Horn auf seiner Nase! Als er endlich verschwand, wurden die Elefanten von Tano weggenommen und alle menschlichen Begleiter stürzten um ihn herum und befürchteten das Schlimmste. Selbst als keine äußeren Verletzungen zu finden waren, konnte es durchaus sein, dass er innere Blutungen hatte. Obwohl Tano unter Schock stand, gefiel es ihr offensichtlich, wie rührend sich alle um sie kümmerten, und wenig später fraß und spielte sie schon wieder glückselig mit ihren Altersgenossen. Sie bekam über den Tag verteilt massenweise Arnika und Bachblüten und wurde aufmerksam beobachtet, aber zeigte keinerlei Anzeichen, die Grund zur Sorge gaben. Es war in der Tat ein Wunder, aber auch ein Warnsignal, denn das Ganze hätte leicht mit einer Tragödie enden können, die im schlimmsten Fall sogar das Leben eines unserer Elefanten oder – noch schlimmer – eines unserer Keeper hätte fordern können. Jetzt, da bei Shida offenbar mehr und mehr die wilden Instinkte zu Tage treten, können wir ihn nicht länger im Stallgelände oder in der Nähe des Schlammbades (mit all seinen täglichen Besuchern) verantworten. Als einzige Option blieb uns, ihn mithilfe einer spezialisierten Einheit der Kenianischen Wildschutzbehörde (KWS, Kenya Wildlife Service) an einen anderen Ort zu bringen. Alle Wildtiere des Landes sind immer noch Eigentum der Regierung, und somit liegt die Entscheidung über den endgültigen Wohnsitz unserer vier Nashornwaisen beim Staat. Die Antwort war unmissverständlich, und Shida sollte in das Ngulia Rhino-Schutzgebiet im Nationalpark Tsavo-West verbracht werden. Das elektrisch umzäunte Schutzgebiet wurde erst kürzlich erweitert und lag ganz in der Nähe des „Goss Camps“, wo ein paar Wildhüter stationiert waren. Ansonsten gab es weit und breit kein privates Farmland, wo man einen Nashornbullen niemals dulden und wahrscheinlich töten würde.

Shida kam am 30. Oktober 2003 im Alter von zwei Monaten zu uns, nachdem seine 35-jährige Mutter im Nairobi Park gestorben war. Ihre Zähne waren so abgewetzt, dass sie nichts mehr fressen konnte. Das Baby wurde von Wildhütern des KWS gefunden, wie es neben seiner leblosen Mutter stand. Er hatte offenbar eine traumatische Nacht hinter sich, da er mutig versucht hatte, die hungrigen Hyänen vom Körper seiner Mutter fernzuhalten (man konnte überall noch Fußabdrücke sehen).

Wir nannten unser Nashornwaise Shida, was auf Suaheli „Problem“ heißt. Sein Problem war, dass seine Mutter ihn erst an ihrem natürlichen Lebensende geboren hatte. Am 9. Februar 2011, als er Elefantenwaise Tano zu Boden trampelte, machte er seinem Namen wieder alle Ehre! Bis jetzt war er ein Teil der einheimischen Nashorngemeinschaft und ein sehr entspannter Zeitgenosse, der seinen Keepern immer gehorchte. Als er ohne sie überlebensfähig war, hat er sich seinen so Alltag eingerichtet, dass er sich auch um den blinden Maxwell kümmern konnte. Er kam jeden Tag und lief schnurstracks in seinen alten Stall, der direkt neben dem des blinden Maxwell liegt, und die beiden balgten sich (zu Übungszwecken) durch die Absperrung hindurch. Immer, wenn er in seinen Stall zurück kam, wurde dieser aus Sicherheitsgründen verschlossen, und Shida selbst genoss es, auf dem Präsentierteller zu sitzen und von den Besuchern „beobachtet“ zu werden. Auch die freuten sich, ihn so oft zu sehen und vor allem zu wissen, dass es ihm gut geht. Schließlich hat die Nashornwilderei seit der Ankunft chinesischer Gastarbeiter im Land dramatisch zugenommen. Sobald die öffentliche Besuchsstunde vorbei war, wurde die Stalltüre wieder aufgeschlossen und er widmete sich seinem zweiten Leben als wildes Nashorn im Nairobi Nationalpark. Es war nicht ungewöhnlich, dass er auf seinem Rückweg gelegentlich über den Parkplatz lief oder gar beim Schlammbad auftauchte, wo ihm die Gäste und die Elefanten „den Weg zeigen“ mussten. Der Zwischenfall mit Tano zeigte uns, dass die Zeit für ihn reif war, ganz und gar in die Wildnis zurück zu kehren, irgendwo, wo er niemanden verletzen konnte.

Der KWS hätte nicht verständnisvoller und hilfsbereiter sein können. In den Tagen nach dem Unfall mit Tano, hielten wir Shida tagsüber in seinem Stall fest. Nur nachts durfte er in den Busch. Als er am Morgen des 14. Februar (wie immer!) in den Stall kam, durfte er nicht mehr hinaus, weil er am darauffolgenden Tag für seinen Abtransport verladen werden sollte.

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Die KWS-Spezialeinheit, die für Umsiedelungen von Wildtieren zuständig ist, verfügt über die nötige Ausrüstung dafür: einen riesigen Truck, einen Kran, Stahlrollen und eine Metallschiene, auf der Shida nach der Sedation am Stall abgelegt und zum Truck gerollt wurde. Die Spitze seines Nashorns wurde entfernt und ein Loch ins Innere gebohrt, um einen kleinen Peilsender einzusetzen, so dass man ihn später wieder finden konnte.

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Da er nun einmal abgelegt war, konnten wir noch eine Fadenwurmwunde an seinem Kinn mit grüner Tonerde einreiben und ihm ein wenig Arnika und Bachblüten unter die Zunge legen. Der Kastenstand auf der Ladefläche des Trucks wurde mit Unmengen an Stroh aufgefüllt, so dass der Transport einigermaßen komfortabel werden würde. Nach der Behandlung wurde er auf der Metallschiene zum Truck gezogen. Kurz vor der Ladefläche bekam er ein Antidot, so dass er sein Bewusstsein langsam wieder erlangte. Die Zeit, in der er noch schlaftrunken war, wurde ausgenutzt, um ihn in seine „Box“ zu dirigieren. Der Kran hievte ihn mitsamt seinem Kastenstand auf die Landefläche des Trucks, und binnen 45 Minuten war der Lkw unterwegs. Shida wurde von seinem Lieblingskeeper Misha Nzimbi und Tal Manor, einem Mitarbeiter des Trusts, der den großen Umzug filmen sollte, begleitet. Mit an Bord waren jede Menge Säcke gefüllt mit Shidas Dung. Die Tierärzte und die Spezialeinheit des KWS arbeiteten alle sehr professionell und routiniert, aber für uns war es dennoch ein schwerer Abschied. Schließlich liebten wir unseren inzwischen prächtigen Nashorn-Bullen inständig und hatten ihn schließlich sieben Jahre lang groß gezogen. Als er abfuhr, blieben nur wenige Augen trocken…

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Kurz vor dem Ziel der Reise, gab es heftige Regenfälle, die die Piste in eine Art Sumpf verwandelten. Der riesige Truck fuhr sich fest und rutschte in einen Graben. Shidas Kastenstand hing in schneidigem Winkel und die Aufhängung drohte jeden Moment herunter zu rutschen. Mit dem langen Arm des Kranes konnte das Fahrzeug wieder auf die Straße gezogen werden und Shida schien ganz entspannt. Bei der Zieleinfahrt ins Goss Camp dämmerte es bereits. Kurze Zeit später wurde Shida hinaus gelassen.

Er hatte die meiste Zeit der Reise geschlafen und war daher noch ein bisschen weggetreten. Keeper Mishak stand an seiner Seite, gab ihm noch ein paar Tropfen Bachblüten und führte ihn zur Tränke. Shidas mitgebrachter Dung wurde in der Gegend erteilt, so dass es wenigstens irgendetwas gab, das ihm bekannt vorkam. Die verblüfften Zuschauer konnten es kaum glauben, dass ein Nashorn so sanft und folgsam sein konnte! Anschließend gab es für jeden Mitgereisten ein Foto mit dem Schützling kurz vor seiner Freilassung. Für sie alle war er etwas ganz Besonderes!

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Als die Sonne am nächsten Tag aufging, machte sich Mishak auf die Suche nach Shida. Er hoffte, ihn an der Tränke zu finden, musste sich aber schließlich auf einen längeren Marsch einstellen, denn Shida war inzwischen mehr als 10 Kilometer entfernt vom Ausgangspunkt. Das Team des KWS und Mishak machten sich auf den Weg, aber Shida war offensichtlich fest entschlossen, einen Anhaltspunkt aus seinem Revier im Nairobi Park zu finden. Das wird wohl noch einige Tage so weiter gehen und mit Sicherheit eine traumatische und harte Zeit für Shida, bis er sich eingewöhnt und andere Nashörner kennen gelernt hat. Er wird täglich beobachtet und hat sich im Ngulia Nashorn Schutzgebiet inzwischen schon einen Namen gemacht. Wir hoffen auf ein glückliches Ende dieser Geschichte, doch sollte er einmal ein Problem haben (oder machen), werden wir für ihn da sein, um die Scherben aufzukehren.

Tsavo ist ein perfektes Nashorn-Habitat. Es gibt schätzungsweise 28 weitere Rhinos in Shidas umzäuntem Areal. Wenn er sich erst einmal eingelebt hat, wird er aus diesem eingezäunten Gebiet in ein größeres gebracht, das einst die weltweit größte Population an Spitzmaulnashörnern beherbergte – 8.000 an der Zahl! In den 1950/60ern gab es in Tsavo tatsächlich so viele Spitzmaulnashörner, dass sie sogar das Emblem der Königlichen Nationalparks in Kenya zierten. Heute gibt es weniger als 500 Spitzmaulnashörner in Kenia und nur noch etwa 1500 in der ganzen Welt. Aufgrund der sonderbaren Mythen im Fernen Osten, die sich um die medizinische und aphrodisierende Wirkung des Nashorns ranken, sind die Dickhäuter heute vom Aussterben bedroht. Nüchtern betrachtet ist Horn zusammengepresstes Haar, es besteht aus der gleichen Substanz, aus der auch unsere Fingernägel gemacht sind [Keratin], und wenn diese Irrgläubigen einfach ihre eigenen Fingernägel kauten, würden sie die gleiche Substanz zu sich nehmen und die Nashörner blieben der Nachwelt erhalten!

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Shida ist einer der Glücklichen, die noch am Leben sind. Seine zweite Chance bekam er, als er im Alter von zwei Monaten zu uns nach Nairobi kam. Nun erhält er seine dritte und letzte Chance, um sich in Tsavo endgültig niederzulassen. Man kann ruhigen Gewissens sagen, dass er sein bisheriges Leben dem Trust verdankt – und all seinen Paten, die ihn dabei unterstützt haben. Wir danken ebenfalls den Profis des KWS für die tatkräftige Unterstützung bei Shidas Umzug in die Wildnis.