Tagwa und Tamiyoi ziehen nach Voi um

(übersetzt aus dem englischen Original; alle Bilder © Sheldrick Wildlife Trust)

Mitte 2019 zog Nachwuchs-Leitkuh Tagwa aus dem Waisenhaus in Nairobi in die Auswilderungsstation in Voi um. Sie verbrachte allerdings nicht viel Zeit dort, denn schon kurz nach ihrer Ankunft zeigte sich, dass einer ihrer Stoßzähne schief wuchs, was zu einer Infektion und großen Schmerzen führte. Dadurch verlor die arme Tagwa von Tag zu Tag an Gewicht, und so wurde sie zurück nach Nairobi gebracht, wo sie besser medizinisch behandelt werden und sich erholen konnte. Acht Monate später ist sie nun wieder ganz die alte und bereit für einen neuen Anlauf für ihren Weg zurück in die Wildnis! Am 11. März – fast vier Jahre nach ihrer Rettung als kleines Waisenkalb – trat sie erneut die Reise nach Voi an.

Die Waisenelefanten ziehen immer am besten zusammen mit guten Freunden in die Auswilderungsstation um, und dafür bot sich bei Tagwa ihre Kollegin Tamiyoi an. Während Tagwa wieder als Mini-Matriarchin der Herde in Nairobi auftrat, war Tamiyoi ihre Vertreterin. Zugegebenermaßen war Tamiyoi eher die zartfühlendere der beiden, denn Tagwa konnte durchaus sehr streng mit ihren Schützlingen sein! Die jüngeren Waisen in Nairobi werden die beiden sicherlich vermissen, aber für die zwei Mädchen wird es jetzt Zeit, Erfahrungen mit den älteren und wilden Elefanten in Tsavo zu machen – die Waisenherde wird in guten Händen sein, denn mit Maisha und Nabulu, den beiden ältesten Mädchen dort stehen gute Nachwuchs-Leitkühe bereit.







Der Umzug begann in den frühen Morgenstunden. Tagwa erinnerte sich offensichtlich noch an das Prozedere, denn sie wollte nicht so recht in den Umzugs-LKW hinein gehen. Eine Flasche Milch genügte aber, um sie umzustimmen, und bald war sie gut verstaut in ihrem Abteil. Tamiyoi folgte ihr ohne zu protestieren in das Fahrzeug; sie schien damit zufrieden zu sein, dass sie Tagwa im benachbarten Abteil berüsseln und sich mit ihr unterhalten konnte. Peter, ein erfahrener Keeper, den die beiden seit Beginn ihrer Zeit im Waisenhaus kennen, war dabei, um dafür zu sorgen, dass es ihnen während der Reise an nichts fehlte.

Da die Coronavirus-Pandemie auch in Kenia im Moment jeden Aspekt des alltäglichen Lebens bestimmt, waren für einen Umzug in dieser Zeit einige zusätzliche Vorkehrungen vonnöten. Zum Glück unterstützte der Kenya Wildlife Service das Vorhaben nach Kräften, und begleitete den Umzug mit einem Fahrzeug, um sicherzustellen, dass keine bürokratischen Hindernisse zu befürchten waren. Gegen 3:20 morgens verabschiedeten sich Tagwa und Tamiyoi vom Waisenhaus und waren auf dem Weg. Es gab nur wenig Verkehr, und so kamen sie nach fünfstündiger Fahrt in Voi an, ohne dass es irgendwelche Probleme gab.








Angela Sheldrick und Robert Carr-Hartley warteten mit den Keepern in Voi schon gespannt auf den Umzugs-Konvoi. Als er angekommen war und die Tore des LKW geöffnet wurden, schauten zwei erstaunte Elefanten aus ihren Abteilen heraus. Für Tagwa muss es wie ein Deja-vu gewirkt haben, aber erstaunlicherweise war Tamiyoi die ruhigere der beiden! Mbegu und ihre kleine Herde, bestehend aus ihr, Godoma, Ngilai, Ndotto, Murit, Lasayen und Emoli eilten gleich zu den Neuankömmlingen herunter. Tamiyoi und Tagwa kennen sie alle noch aus ihren gemeinsamen Tagen im Waisenhaus, und entsprechend groß war die Wiedersehensfreude. Allerdings nicht bei allen – Emoli, der sich scheinbar daran gewöhnt hat, das umhegte Nesthäkchen zu sein, beschwerte sich über eine Stunde lang lautstark! Lasayen machte es aber wieder gut und umsorgte die frisch angekommenen Mädchen vorbildlich.

Nachdem sie ihren Durst gelöscht hatten, machten sich die Elefanten auf zum Grasen. Für Tamiyoi war es besonders aufregend; sie konnte kaum glauben, wieviel unbekanntes Grün es hier gab, und probierte fleißig alle möglichen Gräser und Gewächse aus. Die Waisen grasten gemächlich um den Mazinga-Berg herum und gingen zum mittäglichen Schlammbad hinunter zum Wasserloch. Die beiden Mädchen standen stets im Mittelpunkt des Interesses, und alle wollten nahe bei ihnen sein. Ndotto war so enthusiastisch, dass er schon fast wie der Klassenclown wirkte! Peter, ihr vertrauter Keeper aus Nairobi, war aber jederzeit zur Stelle, um Tagwa und Tamiyoi vor allzu anhänglichen Freunden zu beschützen. Zurzeit ist es sehr heiß in Tsavo, und Tagwa, der die Temperaturen offenbar etwas zu hoch waren, machte ein Nickerchen, indem sie den Kopf bei ihm ablegte. Den ganzen Tag kamen wilde Elefantenherden vorbei, was besonders für Tamiyoi aufregend gewesen sein muss – sie war als so kleines Baby gerettet worden, dass ihr der Anblick ausgewachsener Elefanten vollkommen fremd sein muss.







Dieser Tag war noch aus einem anderen Grund besonders: die nun sieben Jahre alte Mashariki, die vor einem Monat plötzlich mit einer wilden Herde verschwunden war, tauchte am Morgen zusammen mit Tundani, Nelion und Ishaq-B an der Auswilderungsstation auf. Sie war begeistert, auf die Neuankömmlinge zu treffen und hatte offenbar auch ihre Freunde aus der Voi-Herde vermisst. So blieb sie den ganzen Tag bei den Waisen, statt mit ihren älteren und langsam unabhängig werdenden Freunden mit zu gehen.

Solche Tage geben Anlass zu großer Freude darüber, wie gut sich diese Elefanten geschlagen haben. Tagwa war im Alter von sieben Monaten gerettet worden, nachdem sie ganz allein in einer Siedlung umher geirrt war. Tamiyoi war noch ein kleines Baby, als sie in Samburu in einen Brunnen fiel und verwaiste. In den letzten vier Jahren sind diese beiden Mädchen wieder aufgeblüht und haben sich von kleinen, verletzlichen und von Decken gewärmten Elefantenbabys zu selbstbewussten und fürsorglichen jungen Elefantenkühen gemausert. In Voi werden sie im Laufe der nächsten Jahre wichtige Freundschaften mit ihren älteren Waisen-Freunden und auch wilden Elefanten schließen. Und irgendwann werden sie schließlich wieder zu ihrem angestammten Leben in der Wildnis zurückkehren. Das wird aber noch eine ganze Weile dauern, und in der Zwischenzeit brauchen sie noch ihre Milch und die Keeper, auf die sie sich verlassen können. Für Tamiyoi und Tagwa ist es ein großer Schritt in ihrem Leben und ein Grund zur Freude für uns alle!