Trauer in Tsavo

Leider haben wir eine sehr traurige Nachricht, die wir den betroffenen Pateneltern schon persönlich mitgeteilt haben:

Von Daphne Sheldrick erfuhren wir, dass MALAIKA den Versuch, ihr fast ausgetragenes Baby zu gebären, nicht überlebt hat. Offenbar war das Baby mit einem Gewicht von fast 130 Kilo zu schwer für die sehr junge Mutter, und es lag quer zum Geburtskanal.

MALAIKA – im Februar 1989 zusammen mit NDUME im Mount-Kenya-Nationalpark gefunden – hatte sich zu einer allseits geliebten Ersatzmutter der Kleinsten entwickelt. Ihr Tod hat uns alle tief erschüttert.

Wir alle werden „unsere“ MALAIKA in Erinnerung behalten, deren Leben wir verfolgt haben, seit sie selbst noch mit der Flasche großgezogen wurde. Und wir trösten uns mit der Tatsache, dass sie dank der Hilfe ihrer Keeper und ihrer Pateneltern zwölf Jahre ein glückliches Elefanten-Leben gelebt hat.

Hier kommen Auszüge aus dem Tagebuch der Keeper und aus dem Bericht von Daphne Sheldrick. Wir haben lange überlegt, ob wir Ihnen eine so ausführliche Schilderung von Malaikas letzten Tagen zumuten sollen. Aber wir sind überzeugt, dass gerade diese Aufzeichnungen belegen, wie aufopferungsvoll und verantwortungsbewusst sich Daphne Sheldrick und ihr ganzes Team für die Waisen-Elefanten engagieren.

 

Daphne Sheldrick: Wir sind verzweifelt, dass wir Malaika und ihr Baby verloren haben. Es war ein furchtbarer Kummer für uns alle – für die Elefanten und für die Menschen. Wir werden Malaika sehr schmerzlich vermissen. But life must go on: Das Leben gehört den Lebenden. Doch die Toten werden für immer als geliebte Wesen in unseren Gedanken weiterleben.

Tagebuch der Pfleger – September 2000:

26.9. – Malaika geht es heute nicht gut. Um 8 Uhr morgens legte sie sich hin und streckte sich, und wir vermuteten, dass die Wehen eingesetzt hatten. Natumis und Emilys Gruppe waren bei ihr. Sie fraßen nicht und schienen beunruhigt. Um 8.45 Uhr legte Malaika sich zum dritten Mal nieder, und wieder drängten sich die anderen um sie, fraßen nicht und waren offensichtlich besorgt. Um 10 Uhr jedoch verließ Emily die Gruppe, um Natumi und die Babies zum Milchwagen zu begleiten, wo sie ihre morgendliche Milchration erhielten. Loisaba blieb bei Malaika zurück. Später folgte Malaika den anderen sehr langsam zum Schlammbad, begleitet von Loisaba. Sie versuchte mit den anderen zu plantschen, hatte aber ganz offensichtlich Schmerzen. Nachmittags um 4 Uhr versuchte Malaika etwas zu fressen und kehrte langsam mit Loisaba und Emilys Gruppe zu den Stockades zurück.

27.9. – Emily begleitete die Babies, verließ sie jedoch am Spring Gate, um sich zu Dika zu gesellen. Die Kleinen hatten heute im Schlammbad viel Spaß mit Imenti, der sich hinlegte, damit sie auf ihm herumklettern konnten. Malaika verbrachte den Tag mit Loisaba, bekam aber regelmäßige Anfälle von Wehen, bei denen sie sich hinlegte. Aus ihren Schläfendrüsen und aus den Ohren floss ein Sekret – ein Anzeichen für extremen Stress! Um 11.30 Uhr schloss sie sich den anderen am Schlammloch an. Loisaba wich nicht von ihrer Seite, und sie kehrten um 17.30 Uhr zu den Stockades zurück.

28.9. – Malaika verließ die Kleinen am Spring Gate und ging mit Loisaba in Richtung Hügel, währenddessen floss ein Sekret aus ihren Genitalien – ebenso aus ihren Schläfendrüsen und den Ohren. Später schickten wir sie auf Anraten von Mrs. Sheldrick in die Umzäunung, die das Hauptquartier umgibt. Loisaba und Lewa blieben bei ihr. Hier hatte Malaika mehr Ruhe und wurde nicht durch die “Big Boys“ – die halbstarken Elefanten­bullen der Waisenfamilie – gestört. Etwas später war klar zu erkennen, dass sie große Schmerzen hatte. Die Absonderung von Sekret aus ihren Schläfendrüsen und aus den Ohren war jetzt ziemlich stark. Sie bewegte sich rückwärts, wobei sie ein Hinterbein anzog. Futter und sogar Wasser verweigerte sie. Wir brachten ihr Kokosnussbrei, von dem sie aber nur wenig fraß.

Inzwischen hatten Mrs. Sheldrick und ihre Tochter Jill von Nairobi aus Kontakt mit Veterinären in England sowie einem Tierarzt in Holland aufgenommen, der Elefantengeburten – auch sehr problematische – in Zoos miterlebt hatte. Lissa Ruben und Simon Trevor überwachten Malaika ununterbrochen und berichteten über ihren Zustand. Außerdem waren Tag und Nacht zwei Pfleger bei ihr. Aufgrund der Erfahrung, dass bei einer Elefantenkuh, die ein lebendes Kalb zur Welt bringt, der Geburtsvorgang fünf Tage dauern kann, bei einer Totgeburt sogar zehn Tage, rieten die Veterinäre in Nairobi, nicht vorzeitig einzugreifen. Sie befürchteten, Malaika dadurch nur weiterem Stress auszusetzen. Danach würden sie tun, was sie könnten, hatten allerdings nicht viel Hoffnung, sie retten zu können, wenn es ernste Komplikationen gab. (Ein Kaiserschnitt ist bei einem Elefanten offenbar keine Alternative, nach Aussagen all derer, die diesen Eingriff jemals versucht haben: Keine Elefantenkuh in einem Zoo hat eine solche Operation jemals überlebt)

30.9. – Emily verbrachte den Morgen zusammen mit den Kleinen. Sie weideten und trotteten langsam zum Schlammloch. Eine kleine Gruppe der Babies spielte zusammen, besonders Salama und Laikipia, und Mweiga spielte mit allen anderen. Allerdings nahmen sie heute kein Schlammbad, weil es zu kalt war. Den Nachmittag verbrachten alle zusammen bei einem kleinen Mittagsschläfchen unter einem Baum. Danach verließ Emily die Kleinen und kam eine halbe Stunde nach Natumis Gruppe zu den Stockades.

Heute Morgen schien Malaika sich etwas wohler zu fühlen und hatte guten Appetit. Da sie sehr durstig war, brachten wir ihr Wasser, dem wir ein homöopathisches Mittel zugesetzt hatten. Aus ihren Ohren floss immer noch Sekret. Wir brachten ihr Zuckerrohr, Bananen und Orangen, und am Nachmittag schien sie sich noch etwas besser zu fühlen. Loisaba und Lewa waren die ganze Zeit bei ihr. Uaso kam an den Zaun und versuchte, zu Malaika zu gelangen, ging jedoch nach einer Weile wieder fort, weil er nicht wusste, wie er hineinkommen konnte.

Am Nachmittag kamen Edo, Ndume und Dika zu den Stockades zurück.

Daphne Sheldrick berichtet:

Ich war immer besorgt wegen Malaikas Schwangerschaft, denn ich hatte eine Vorahnung, dass die Dinge nicht planmäßig verlaufen würden. Der einzige Grund für diese Annahme war die Tatsache, dass sie noch keine zwölf Jahre alt war. Aber die Elefantenforscherinnen Cynthia Moss und Joyce Poole berichteten mir, dass einige Elefanten in Amboseli (in einer Population, die seit 28 Jahren intensiv beobachtet worden ist) bei der Geburt ihres ersten Kalbes erst zehn Jahre alt sind, obwohl das Durchschnittsalter für Erstgebärende bei 14 Jahren liegt. Malaika war relativ klein, und ich befürchtete, dass ihre Niederkunft lang und schwierig werden würde. Auf die Möglich­keit, dass wir nicht in der Lage sein würden, sie oder ihr Kalb zu retten, waren wir jedoch nicht vorbereitet.

Es sind Fälle bekannt, bei denen wilde Elefantenkühe bei der Geburt ihres Kalbes gestorben sind. Cynthia Moss kennt zwei solcher Fälle in Amboseli, und auch in Tsavo hat es so etwas schon gegeben. Eine junge Kuh starb kürzlich in Borana bei der Niederkunft.

Wir wussten, dass unter natürlichen Bedingungen in der Wildnis eine Kuh in Begleitung einiger “Tanten“ die Herde verlässt und an einem abgeschiedenen Ort ihr Kalb zur Welt bringt. Deshalb versuchten wir, für Malaika die optimalen Bedingungen zu schaffen. Sie wurde in die Umzäunung gebracht, wo sie abgeschirmt war und nicht durch das Auftauchen wilder Elefanten oder der “Big Boys“ der Waisen gestört wurde. Außerdem waren ihre Lieblingspfleger und ihre zwei vertrautesten Artgenossen bei ihr. Immerhin war Malaika aus eigenem Antrieb zurückgekommen, um hier ihr Baby zu bekommen – bei der einzigen “Familie“, die sie kannte und der sie vertraute, nämlich der menschlichen, die ihr die Elefantenfamilie ersetzt hatte, als sie im Alter von nur drei Monaten zur Waise wurde.

Da tote Kälber zehn Tage nach Beginn der Wehen ausgestoßen werden, rieten uns die Tierärzte, dass wir diese Zeit abwarten sollten. Es waren qualvolle zehn Tage, nicht nur für Malaika, auch für uns alle, die sie liebten und es kaum ertragen konnten, ihr Leiden mit anzusehen. Schließlich, als sie überhaupt nichts mehr fraß und Anzeichen großer Müdigkeit und Schwäche zeigte, wussten wir, dass für die Veterinäre der Zeitpunkt gekommen war, nach Voi zu fliegen und zu sehen, was sie tun konnten. In der Zwischenzeit taten die Pfleger alles, was in ihren Kräften stand. Sie versuchten, das Kalb herauszuziehen, konnten es fühlen, bekamen es aber nicht zu fassen. Malaika schien ihre Hilfe zu wollen, denn erstaunlicherweise wehrte sie sich kein einziges Mal.

Am Morgen des 4. Oktober trafen die Tierärzte mit dem Flugzeug ein, und Malaika erhielt eine Narkose. Sie kämpften den ganzen Nachmittag und versuchten, sie von dem toten Kalb zu befreien, aber vergebens. Das Baby lag quer zum Geburtskanal. So gab es für uns schließlich nur noch eins: Wir wollten Malaika endlich von ihren Qualen erlösen und mussten uns schweren Herzens entschließen, sie einzuschläfern.

Wer verwaiste Elefanten großzieht, muss stark genug sein, auch mit solchem Kummer und großer Traurigkeit fertig zu werden – und davon haben wir im Laufe der Jahre eine ziemliche Portion mitbekommen. Der Tod Malaikas und ihres Babys war jedoch für alle Betroffenen außergewöhnlich schmerzvoll, besonders für die Pfleger, die fast zwölf Jahre lang ihre Familie waren. Die anderen Waisen werden sie auch schmerzlich vermissen – aber keine so sehr wie die kleine Loisaba, die sie wie eine Mutter liebte. Edo hing ebenfalls sehr an ihr, war er doch ihr bester Freund seit den Tagen in der Nursery, der immer für sie da war, wenn sie ihn brauchte, und der selbstlos seine Zeit bei den wilden Herden und seinen Kameraden opferte, um ihr bei der Betreuung der Kleinen zu helfen. Und dann der kleine Lewa… Er war immer Malaikas “Baby“ gewesen, und sie schien ihn ganz besonders zu lieben.

Nachdem Malaika gestorben war, schlich sich Loisaba unauffällig davon, um allein zu sein. Die Pfleger, die an dem Abend damit beschäftigt waren, sich um all die anderen in den Stockades zu kümmern, bemerkten ihr Verschwinden zuerst nicht. Später machten sie sich auf die Suche nach ihr, konnten sie jedoch nicht finden. Wegen der Löwen fürchteten wir schon um ihr Leben, doch zu unserer großen Erleichterung kam sie mitten in der Nacht zurück. Auch Lewa und Edo verschwanden für mehrere Tage, kehrten aber schließlich auch nach mehreren Tagen zusammen zurück.

Am meisten sorgte ich mich um Loisaba, denn weibliche Elefanten sind mehr auf die Familie fixiert als die männlichen. Malaika war die zweite “Mutter“, die sie in ihrem jungen Leben verloren hatte, und den Menschen, sogar den Pflegern, gegenüber war sie immer noch etwas scheu, obwohl sie während dieser schrecklichen Tage, die sie bei Malaika und ihren Betreuern verbrachte, sehr viel ruhiger geworden war. Hatte sie doch unmittelbar die Liebe und Fürsorge kennengelernt, die man ihrer neuen “Mutter“, die sie so sehr liebte, entgegenbrachte.

Wir versuchten, Loisaba dazu zu bewegen, sich Natumis Gruppe anzuschließen. Dort würde sie mit kleineren Waisen zusammensein, die sie vielleicht von dem Verlust Malaikas ablenken konnten. Das funktionierte auch, doch sie verbringt ebenso Zeit mit Emily, Aitong und Mweiga, wobei sie besonders die Nähe von Aitong sucht, der sie immer mitfühlend und freundlich behandelt hat. (Emily ist besessen von der kleinen Mweiga). Die Pfleger berichten, dass Loisaba sich auch mit Natumi angefreundet hat.

Als Simon Trevor es schließlich geschafft hatte, das tote Kalb herauszuziehen, stellten wir fest: Es war ein Bulle und mit 127 Kilo ( im Vergleich zu normalen 100 – 110 Kilo) ungewöhnlich schwer. Außerdem war er sehr groß (96 cm, normal sind 75 – 90 cm) und lag, wie die Ärzte vermutet hatten, quer zum Geburtskanal, festgeklemmt in einem Becken, das zu klein war, um ihn freizugeben.

Malaikas Körper liegt in einem nicht markierten Grab, geschützt vor Geiern und Aasfressern, die die anderen unglücklichen Kreaturen verwerten. Ihr Name ist das Suaheli-Wort für “Engel“. Ein Engel ist sie jetzt zweifellos – im Frieden und bewahrt vor all den emotionalen Verletzungen und dem Leiden, das ihrer Art zugefügt wurde durch menschliche Gier und den Elfenbeinhandel, durch den Afrika der meisten seiner Elefanten beraubt wurde. Wir müssen dankbar sein, dass es ihr vergönnt war, zwölf glückliche Jahre zu erleben, die sie sonst nicht gehabt hätte, und dass wir bis zum Ende für sie da sein konnten. Malaika wurde zutiefst geliebt und geschätzt von ihrer Menschenfamilie genauso wie von ihrer Waisenfamilie. Ruhe in Frieden Malaika, und möge dein Geist über deine Art wachen und sie in ihrem letzten großen Refugium in Kenia beschützen – im Tsavo National Park.

Inzwischen werden wir hier in Nairobi nach Möglichkeiten suchen, wie wir Schwanger­schaften bei unseren anderen weiblichen Waisen hinauszögern können. In einer natürlichen Elefantenfamilie mit intakten Altersgruppen wären so junge Elefantenkühe wie Malaika keine Matriarchin, weil andere diese Position einnehmen würden. Da unsere verwaisten weiblichen Elefanten in ungewöhnlich jungen Jahren zu Matriarchinnen werden, könnten sie durch diese Rolle auch schon früher als sonst zur Paarung bereit sein. Um eine ähnliche Tragödie in Zukunft zu verhindern, werden wir nach möglichen sicheren Methoden der Geburtenkontrolle suchen, damit unsere weiblichen Waisen mit frühestens 14 Jahren zum ersten Mal gebären – wie das bei Lissa der Fall war, als sie die kleine Lara bekam. Aus Malaikas Tragödie haben wir wieder auf sehr schmerzliche Weise etwas gelernt, und wir müssen versuchen, die anderen vor einem solchen Unglück zu bewahren.