Burra besucht die Waisen in Voi

Jeder Elefantenwaise, der in der Obhut des Trusts aufgewachsen ist, wird nie mehr vergessen und auf ewig geliebt. Auf ewig, weil – wie meine Mutter immer zu sagen pflegte – sie uns so viel Liebe geben. Die Rettung jedes Elefantenwaisen ist ein einzigartiges Ereignis, und schon sein Name allein erinnert uns immer wieder an die Umstände seiner Rettung (denn schließlich verfügen wir Menschen nicht über ein so langjähriges Gedächtnis wie die Dickhäuter). Einige Rettungsaktionen waren natürlich dramatischer als andere, ebenso wie einige der Waisen selbst auffälliger als andere waren, allein durch ihre Narben, die sie ihr ganzes Leben lang von den anderen unterscheiden werden. So ein Waisenkind ist auch Burra.

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Nur wenige Rettungsaktionen wie diese, und wenige Elefantenwaisen waren so denkwürdig wie Burra. So stelle man sich auch die Freude vor, als er am 13. Februar 2010 nach 2 Jahren und 2 Monaten wieder an den Stallungen in Voi auftauchte!

Burra verlor seine Familie im Jahr 2001 als er gerade acht Monate alt war. Am 13. Februar 2010 kehrte er als attraktiver, sehr auffälliger 10-jähriger Bulle wieder zurück. Sein stoisches Gemüt war ihm schon angeboren und deutete sich bereits während der vielen Monate an, in denen seine fürchterlichen Wunden heilen mussten. Er brannte sich in unser Gedächtnis als er sich wochenlang völlig selbstlos um unsere kränkelnde Elefantenwaise Mweiga kümmerte, indem er ihr Gesellschaft leistete. Sie litt an einem angeborenen Herzfehler und war zu schwach um mit den anderen Waisen ein „wildes“ Elefantenleben zu bestehen. Während ihre Altersgenossen wieder in die Wildnis zogen, blieb Mweiga in der Obhut der Keeper.

Burra war ein Opfer des skrupellosen Wildfleisch-Handels. Er verhedderte sich in von Wilderern ausgebrachten Schlingfallen, die sich um seinen Hals und um eines seiner Ohren legten. Zu dieser Zeit war seine Mutter noch bei ihm. Sie versuchte ihn aus der Schlinge zu ziehen, die sich dabei nur noch fester zerrte, und das Metall teilte ihm sein Ohr nahezu in zwei Hälften und schnitt sich tief in seinen Nacken und um seinen Kehlkopf, so dass er fast erdrosselt wurde. Die Schlingfalle war so eng, dass er kaum schlucken konnte und große Schwierigkeiten hatte, zum Säugen an seiner Mutter den Kopf anzuheben. Es wunderte kaum, dass er binnen kürzester Zeit extrem abmagerte und immer schwächer wurde. Zu der Zeit, als man ihn fand, war er dem Tod näher als dem Leben, aber trotz allem immer noch bei seiner Mutter.

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Burra 2003

Seine Familie befand sich auf dem Weg in menschliches Siedlungsgebiet, das inzwischen die alten Wanderrouten der Elefanten zwischen dem Osten und Westen Tsavos abschnitt. Der Routenverlauf wurde allerdings von jeher an die nächste Elefantengeneration weiter gegeben, so dass sich die Information ins genetische Gedächtnis eingebrannt hat. Daher sind sie zum Spießroutenlauf durch das Gebiet geradezu gezwungen. Die Wanderung wird von Jahr zu Jahr schwieriger, da die Bevölkerung immer weiter wächst und mehr und mehr Land für den Ackerbau in Beschlag nimmt.

Dieses Mal schaffte es Burras Herde nicht, weil sie von einem Helikopter vom Gemeindeland zurück getrieben wurden. Burra war zu diesem Zeitpunkt schon viel zu schwach um mit seiner panischen Familie Schritt zu halten und fiel zurück. Die Besatzung des Hubschraubers erkannte, dass er schwer verletzt war, landete sofort und mithilfe einer Bodentruppe wurde er schnell überwältigt. Alle waren geschockt vom Ausmaß seiner Verletzungen – drei Viertel seines Ohres waren entzündet und eiterten, eine Metallschlinge hatte sich tief in seine Halsmuskeln eingegraben und schnürte ihm die Kehle ab. Dicker, gelber Eiter tropfte aus den Wunden und sein Körper befand sich in einem bemitleidenswerten Zustand – ausgemergelt und vom Schmerz gezeichnet.

Die Schlingfalle konnte nur sehr schwer entfernt werden, weil die Crew des Helikopters nur ein großes Taschenmesser dabei hatte. Es hätte ihm große Schmerzen bereitet, die Schlinge so aufzubrechen. Er wurde also auf einen Pickup geladen und musste noch eine lange, holprige Fahrt nach Voi aushalten. Dort erwarteten ihn etwa 25 weitere Elefantenwaisen, die alle ähnlich tragische Geschichten durchlebt hatten, in der Nursery aber wieder gesundet sind und sich auf dem Weg zurück in die Wildnis nach Tsavo Ost befanden. Über Nacht wurde er in Voi untergebracht und am nächsten Tag von einem Truck nach Nairobi gefahren, der erst am Vortag Mulika und Nasalot nach Voi befördert hatte. Bei seiner Ankunft befand er sich in einem Zustand, der zu Tränen rührte. Nur selten mussten wir solch furchtbare Verletzungen behandeln.

Viele Monate Intensivpflege und Schmerzen später hatte er es jedoch geschafft. Burra war nun einmal ein sehr tapferer kleiner Elefant mit unbändigem Lebenswillen.

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Burra  März 2004

Sobald er groß und stark genug war, wurde er in die Auswilderungsstation nach Voi im Nationalpark Tsavo Ost gebracht. Dort wuchs er unter der Leitkuh Emily und in der Gesellschaft der Voi-Herde heran. Im Jahr 1995, hatte sich Emily für ihren Umzug in die Wildnis in ein Leben unabhängig von den Keepern entschlossen, und mit ihr gingen Loisaba, Ilingwezi, Tsavo, Ndara, Laikipia, Salama, Aitong und Sweet Sally. Zwei Jahre später folgte ihr die nächste Gruppe unter Natumi, zu der Edie, Icholta, Lolokwe, Mukwaju, Mvita, Irima, Sosian und Nyiro gehörten. Burra schloss sich drei Monate später an, und zwar gemeinsam mit Thoma, Mweya, Solango, Seraa und Morani. Nur ein Elefantenwaise blieb damals in der Obhut der Keeper zurück: die gebrechliche Mweiga, die durch ihren Herzfehler mit den gesunden Elefanten nicht Schritt halten konnte und leicht hätte den Löwen zum Opfer fallen können.

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Burra September 2004

Mweigas Krankheit trat mehr und mehr zum Vorschein je älter sie wurde. Ihr krankes Herz musste immer heftiger pumpen, um ihren wachsenden Elefantenkörper mit Blut zu versorgen. Trotz allem genoss sie noch 10 glückliche und behütete Jahre in Voi – bis zum 22. Dezember 2007, als sie nach einem wundervollen Schlammbad mit all ihren inzwischen wilden Freunden auf dem Heimweg plötzlich tot umfiel. Burra war es, der sie an diesem Tag begleitete und zuerst dachte, sie sei nur gestolpert. Er und die Keeper versuchten verzweifelt, sie wieder aufzurichten. Als Burra verstanden hatte, dass sie gestorben war, rannte er mit einem herzzerreißenden Schrei davon zu Natumis Gruppe, die am Fuße von Mazinga Hill graste. Natumi wiederum rannte zu Emilys Gruppe, die nicht allzu weit entfernt fraß. In den folgenden Wochen war die Herde unzertrennlich und nur Emily kam eines Nachts an den Stall, um sicher zu stellen, dass Mweiga wirklich von ihnen gegangen war.

Seit diesem Tag bis zum Wiedersehen am 13. Februar 2010 vergingen zwei Jahre und zwei Monate, in denen Burra nicht mehr zu den Ställen gekommen war. Man stelle sich also die Freude der Keeper vor, als sie ihn mit Emily, Edie und deren wilden Babys sahen. Er wirkte nach all der Zeit ein bisschen schüchtern, und wahrscheinlich kamen all die Erinnerungen an Mweiga wieder in ihm hoch als er die Neuankömmlinge in seinem alten Stall erblickte.

In Mweigas zehn Lebensjahren wurde sie nicht einen einzigen Tag allein gelassen. Immer war sie in Begleitung von Freunden, in der Regel zwei junge Bullen aus der später wilden Herde. Einer davon war Burra und der andere sein Freund Morani. Sie waren abwechselnd Mweigas Krankenpfleger und verließen ihre Freunde, nur um ihr Gesellschaft zu leisten. Abends brachten sie sie zurück in den Stall und tagsüber wichen sie nicht von ihrer Seite. Sie waren immer liebevoll und besorgt, halfen ihr nach jedem Stolperer, wenn sie Hilfe beim Aufstehen brauchte. Nahm sich einer der beiden einen Tag bei der Herde, blieb der andere immer bei Mweiga.

Wir werden nie erfahren, ob die beiden Bullen diese Entscheidung aus purer Selbstlosigkeit getroffen haben oder auf Anweisung ihrer Leitkuh Emily handelten. Vielleicht war es auch Mweiga selbst, die sie darum gebeten hatte, weil sie neben ihren Keepern auch die Gesellschaft von Artgenossen brauchte. Egal wie man es betrachtet, Fakt ist, dass die beiden Bullen Burra und Morani diese Pflicht ohne zu Zögern annahmen, obwohl sie mit Sicherheit lieber bei ihren gleichaltrigen Freunden im Busch gewesen wären – zum Spielen und Kräftemessen wie es Bullen in ihrem Alter am liebsten machen.

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Burra 2005

Wir sind überglücklich, unseren Burra, einen der denkwürdigsten unserer Waisen, auf einen Kurzbesuch zu Hause begrüßen zu können und zu wissen, dass es ihm gut geht, besonders nach dem Überlebenstraining während der Dürre 2009.

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Burra 2006

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Burra 2007