Die Waisen im Juli

Monatsbericht für die Nursery-Gruppe:

 

Der Juli war ein sehr anstrengender Monat in der Nairobi-Nursery: drei Neuankömmlinge, deren Familien höchstwahrscheinlich gewildert wurden, und der Verlust von zwei weiteren Neuzugängen, für die jede Hilfe bei ihrer Ankunft schon zu spät kam.

Am 11. Juli morgens, wurde einem der beiden – Lorian – in seinem Stall eine Infusion gelegt, während die Keeper ihn in Decken wickelten und Trost zusprachen. Gegen 7 Uhr dann die traurige Nachricht, dass Lorian von uns gegangen war. Nur zwei Tage später wurde ein kleines Kälbchen namens Talio aus dem Nationalpark Tsavo-Ost in die Nursery geflogen. Nach einigen Tagen war sie über dem Berg und wurde dem Rest der Gruppe vorgestellt – und wie üblich – mit offenen Armen empfangen. Am 15. Juli gegen 14 Uhr brach sie dann plötzlich zusammen und starb innerhalb von nur einer Stunde. Wahrscheinlich mussten beide zu lange ohne Milch auskommen. Das, der Verlust ihrer Famlien und der zusätzliche Stress einer Rettungsaktion durch ihre natürlichen „Erzfeinde“, die Menschen, waren wohl einfach zu viel.

Am 21. Juli wurde ein weiteres einsames Elefantenkälbchen im Nationalpark Tsavo-Ost gesichtet – das zweite Waisenbaby innerhalb weniger Tage. Bei dieser Rettungsaktion wurde das Nursery-Rettungsteam von einer NBC-Filmcrew begleitet, die gerade auf Besuch war. Das Kälbchen namens Bomani wurde sicher in die Nursery gebracht und die Filmcrew nahm alles hautnah auf. Bomani ist ein einjähriger Bulle, dem es bisher zum Glück gut geht.

 

Bomani IMG_9707

Der nächste Neuzugang kam von der berüchtigten Taita Ranch am Rande von Tsavo-Ost – eine Hochburg für Wilderer. Die Gegend ist besiedelt von Somali-Viehhirten, deren Rinder illegal im Nationalpark grasen, und die als Nebeneinkommen Elfenbein verkaufen. Drei der Nairobi-Keeper halfen den Keepern in Voi bei der Bergung von einem weiteren einjährigen Bullen, der später „Nyika“ genannt wurde. Nyika ist der Name eines Busches, charakteristisch für das aride Ökosystem von Tsavo[k1] .

Bomani und Nyika haben sich inzwischen gut in ihrem neuen Zuhause eingelebt, trinken ohne Probleme ihre Milch und nehmen täglich zu – immer den Argusaugen ihrer Keeper und einer Schar von potentiellen kleinen Leitkühen.

 

Balguda with Nyika, and Tano on the R, Makireti L IMG_9913

 

Die Aufzucht von Elefanten gleicht einer Gefühlsachterbahn – immer zwischen zu Tode betrübt und unbändigem Stolz und Glück. Trotz aller Tragik über den Verlust eines Elefantenbabies ist Aufhören für uns schlichtweg keine Option, denn es bleiben immer noch zu viele, die Hilfe brauchen. Aber wenn es einem der älteren Nursery-Elefanten schlecht geht, werden alle besonders nervös – denn Elefanten sind in den ersten drei bis fünf Lebensjahren extrem anfällig. In diesem Monat ging es uns so mit Shukuru. Die Keeper beschreiben die ersten Anzeichen einer Krankheit mit „abgestumpftem Verhalten“. Ein Bluttest deutete auf eine Infektion hin, da die Zahl der weissen Blutkörperchen stark angestiegen war. Der Tierarzt verabreichte ein Wurmmittel, kombiniert mit einem Langzeit-Penicillin und Vitamin B. Jetzt müssen wir einfach die Daumen drücken, dass es ihr bald wieder besser geht und keines ihrer Organe Schaden davon trägt.

Murera geht es in der Zwischenzeit immer besser, und auch unser kleiner “Bonsai“ Kithaka ist ein bisschen gewachsen. Er ist ein toller Entertainer während der täglichen Besuchsstunde und belohnt uns nach vielen sorgenreichen Monaten mit seinen Fortschritten.

Die Löwen im Nairobi Nationalpark haben diesen Monat wieder einmal ordentlich für Aufregung gesorgt – nicht nur, weil eine der Löwinnen wahrscheinlich im Stallgelände geworfen hat. Eines Tages, wahrend der Nachmittagsfütterung, schossen zwei Löwinnen aus dem Gebüsch und verfolgten ein Warzenschwein, dass schutzsuchend in Richtung der Elefanten rannte. Die Waisen gingen sofort in Defensivstellung, die Älteren umringten die Kleinen, während Jäger und Gejagter an ihnen vorbei fetzten. Das Warzenschwein entkam dieses Mal unbeschadet… Die Warzenschweine sind alte Familienfreunde, wurden doch die meisten von ihnen in der unmittelbaren Nachbarschaft der Nursery geboren und gross gezogen. Hier haben sie häufig von den Menschen als “natürliches Abwehrmittel“ profitiert. Die Löwen sind allerdings nicht dumm und werden immer dreister in ihrer Taktik – Es wird nie langweilig in der Nairobi-Nursery!

Die Waisen hatten in diesem Monat wieder einmal Besuch von der CNN Filmcrew, die sich für ihren Beitrag als Hauptdarstellerinnen dieses Mal die kleinen Mini-Leitkühe Sities und Mutara ausgesucht hat. Ausserdem filmten sie eine der Rettungsaktionen[k2] . Die Crew hatte sichtlich Freude daran, ein paar Tage Teil des Nursery-Alltags zu sein.

 

Barsilinga with Sities IMG_9680 (2)

 

Monatsbericht für die Ithumba-Gruppe:

 

In den Ithumba-Stallungen herrschte im letzten Monat reges Treiben, da es in ganz Tsavo sehr trocken ist, nachdem die Regenfälle im April/May ausgeblieben sind. Die Keeper mussten sich nicht nur um ihre üblichen Schützlinge kümmern, sondern haben auch die Ex-Waisen und wilden Besucher, die zum Saufen kamen, mit Luzerne versorgt. Für die wilden Elefanten ist die Tränke zur wichtigsten Wasserquelle geworden. Es kommen hauptsächlich Bullen, aber auch ein paar Kuhherden mit Jungtieren. Die Stalltränke muss mehrfach pro Tag wieder aufgefüllt werden, um den Durst aller zu stillen. Das Wasser vom Bohrloch zu holen, dauert zu lange für diese Zahl durstigen Elefanten. Daher war der Tankwagen des Trusts unermüdlich im Einsatz und holte zusätzlich Wasser aus den Wasserlöchern im Tiva-Fluss.

Die Waisen lassen den Älteren den Vortritt, egal ob Ex-Waisen oder wilde Fremde. Sie werden damit eingeführt in die Elefanten-Knigge und lernen wichtige Lektionen über Rang und Status, die sie für ihr späteres Leben in der Wildnis unbedingt brauchen.

Am 3. Juli abends kam die gesamte Herde Ex-Waisen mit zehn wilden Freunden im Schlepptau zur Tränke. Fast alle waren schon am nächsten Morgen wieder, kurz nachdem die Waisen zu ihrer Tageswanderung aufgebrochen waren. Am 11. Juli brach das Stallgelände fast aus allen Nähten, weil die Ex-Waisen und wilde Elefanten auf die Ankunft des Tanklasters warteten, der Nachschub für die Tränke brachte. Die wilden Elefanten haben ganz genau verstanden, worum es geht. Sie warten geduldig, und wenn der Tanklaster endlich ankommt, dauert es manchmal mehrere Stunden, bis alle getrunken haben. Offensichtlich kommen sie von weit her. Eine Woche später, früh morgens, kam eine andere Herde wilder Elefanten zum Saufen als ein Rudel Wildhunde aus dem Dickicht auftauchte. Einer der Elefanten entschied sich zum Gegenangriff, aber die drei Hunde waren hartnäckig und wichen ihm aus, bis er schließlich aufgab. Bis zum 18. Juli nahm die Zahl wilder Elefanten an der Tränke stetig zu – morgens bis zu 24 und am Abend gar bis 40!

 

mshale relaxing (2)

 

Am 13. Juli gegen 18 Uhr, kam ein wilder Bulle, der später „Mshale“ gerufen wurde, mit zwei wilden Kühen zum Saufen. Einer seiner Oberschenkel eiterte heftig aus einer großen Schwellung – offenbar eine Pfeilwunde. Angela Sheldrick war zufällig gerade vor Ort und rief die Veterinäre der mobilen Einheit in Tsavo an, dass ein stattlicher Bulle mit großen Stoßzähnen dringend lebensrettende Hilfe bräuchte. Diese mobile Einheit wird vom Trust finanziert und der ihr angegliederte Tierarzt des Kenya Wildlife Service (KWS) kamen umgehend nach Ithumba und warteten darauf, das Mshale wieder auftauchte, so dass sie ihn behandeln konnten. Glücklicherweise dauerte es nicht lange, bis er mit seinen beiden wilden Kompagnons zurück kam. Mshale wurde sediert, die Pfeilspitze entfernt und die Wunde gründlich von allem Eiter und abgestorbenen Gewebe gereinigt. Danach bekam er noch eine Spritze mit einem Langzeitantibiotikum, bevor er mit einem Antidot wieder aufgeweckt wurde. Schon am nächsten Tag kam er zurück, und es schien im viel besser zu gehen – er humpelte auch kaum noch. Wir sind zuversichtlich, dass er sich schnell und vollständig erholt. Es ist ein grosses Privileg, einen so stattlichen Bullen zu retten, dem andernfalls ein langer und schmerzvoller Tod bevorgestanden hätte. Und das nur, damit die krankhafte Nachfrage nach Elfenbein in China und dem Fernen Osten gestillt werden kann.

Am Abend des 17. Juli, tauchte der wilde Vater der Babies Mwende und Yetu gemeinsam mit ein paar wilden Begleitern im Stallgelände auf.

 

baby mwende & yetu

 

Die Keeper, die die Begattung von Mulika und Yatta vor mehr als zwei Jahren live miterelebt haben, erkannten ihn sofort. Sein Nachwuchs, Mwende und Yetu, spielten fröhlich neben ihrem riesigen Vater und rollten sich in roter Erde. Die Keeper waren ausser sich vor Freude, die Familie(n) wieder vereint zu sehen und somit Zeugen des ganzen Kreislaufs geworden zu sein!

 

mwende– – –  yeti

 

Am 19. Juli kamen die Ex-Waisen alle zum Schlammbad und wurden dieses Mal von Yattas wilden Schützlingen Kijana und Mgeni als auch einem weiteren wilden Bullen begleitet. Obwohl es ein ziemlich kühler Tag war, gesellten sich einige der Ex-Waisen (inklusive Mwende) zu den Jüngsten ins Schlammbad, und alle hatten eine gute Zeit.

Als die Waisen am 26. Juli gerade ihre tägliche Ration Luzerne vernaschten und die wilden Elefanten an der Tränke zugange waren, tauchten plötzlich zwei Schakale auf. Einer der wilden Elefanten blockierte ihnen jeglichen Zugang, so dass sie den Rückzug antreten mussten. Sie trauten sich erst zurück, als die wilden Elefanten wieder verschwunden waren. Als sie nun endlich ihren Durst stillen konnten, gesellten sich noch ein paar Wildhunde hinzu.

 

Monatsbericht für die Voi-Gruppe:

 

In Voi war der Monat nicht minder aufregend: die Besatzung war bei den vier Rettungsaktionen von Elefantenbabies dabei, die anschliessend in die Nursery gebracht worden und hat selbst einen Neuzugang zu verzeichnen.

Das erste Kälbchen, „Talio“ wurde am 11. Juli von den Voi-Keepern eingefangen und nach Nairobi geflogen, wo es später leider verstarb. Das zweite und dritte Elefantenbaby wurden beide am 20. Juli auf der Mgeno Ranch gerettet, das erste war zwei Jahre alt und sehr schwach. Nur kurz nachdem dieses Kälbchen in ihren Stall gebracht wurde, kam schon der nächste Anruf: ein Elefanten-Waise war ganz allein in Bomani, nahe des Zomeni-Berges, gesehen worden. Das zweite Team brauchte nicht lange, bis es das erst sechst Monate alte Kälbchen geborgen und zurück zum Stallgelände gebracht hatte. Für die Keeper war es ein sehr langer und harter Tag, aber beide Elefantenbabies waren in Sicherheit und umsorgt.

Am nächsten Morgen mussten die Keeper erst einmal das ganze Tagesprogramm umstellen. Das jüngste Baby, Bomani, wurde nach Nairobi geflogen, währen das andere, genannt Panda, in Voi blieb, da sie bereits zwei Jahre alt war. Die Familien beider Babies sind mutmasslich Opfer von verstimmten Somali-Viehhütern geworden, deren Vieh nicht mehr in den Park darf.

 

Die vierte und letzte Rettungsaktion im Juli war ein sechs Monate altes Kälbchen, dass auf der Taita-Ranch gesichtet wurde. Taita ist eine der Gemeinschaftsfarmen am Rande von Tsavo-Ost. Das Voi-Rettungsteam war schnell zur Stelle und hatte das Kälbchen bald aufgespürt. Er wurde in den Stall nach Voi gebracht, bekam das Lager neben Panda und nahm schon bald den Milchersatz an. Einige Stunden später traf ein Flugzeug aus Nairobi ein und brachte ihn in die Nursery.

Trotz allem Stress und der Sorge um die vier neuen Waisen, waren Joseph Sauni und sein Keeper-Team unermüdlich für die anderen Waisen und Ex-Waisen im Einsatz. Ndara, die schon einige Tage nicht mehr gesehen worden war, kam gegen Monatsende vorbei und wurde von allen herzlichst begrüsst. Sie war gut in Form und humpelte nur noch wenig. Alle ihre Pfeilwunden, inklusive der problematischen in einem ihrer Gelenke im Bein, scheinen gut verheilt und die Keeper meinen, dass sie auf Emilys Herde wartet, um mit ihnen zusammen endlich wieder zurück in den Busch zu kehren.

Im Laufe des Monats haben einige wilde Elefantenherden das Stallgelände aufgesucht – vornehmlich um zu Saufen – und begleiteten die Waisen regelmässig auf ihrem Weg zum Grasen. Taveta und Tassia sind immer versessen auf Kräftemessen mit gleichaltrigen wilden Bullen. Die wiederum wissen genau, wo sie die mit frischem Wasser aufgefüllten Tonnen am Schlammbad finden, und verstecken sich manchmal im Gebüsch bis der Traktor sie fertig aufgefüllt hat. Danach trinken sie den ganzen Vorrat aus, so dass die Waisen auf die nächste Traktor-Ladung warten müssen.

 

Tvt lft & Tasia wrestling

 

Eines Nachmittags, schaute Mkuki (der verwaiste Kudu-Bulle) vorbei, um den Keepern „JAMBO“ zu sagen (Kiswahili für „Hallo!“). Die waren völlig überrascht, nachdem sie ihn so viele Monde lang nicht gesehen hatten.

Das Verhältnis der Waisen untereinander ist, wie in Menschenkindern, recht wechselhaft. Manchmal herrscht grosse Anspannung während der Fütterung, besonders unter denen, die bei ihrer Rettung völlig ausgehungert waren. Die kleine Kivuko hatte einen besonders schweren Monat: Dabassa, der äusserst gierig und rücksichtslos ist, wenn es um die Milchflasche geht, versuchte oft, auch noch Kivukos Flasche an sich zu reissen. Obwohl die Keeper einschreiten, ist das nicht immer ganz einfach – schliesslich sind die Waisen in Voi keine Miniatur-Elefanten mehr! Rombo und Shimba dagegen stehen sich sehr nahe, besteigen oft zusammen Mazinga Hill, wo es saftiges Grünfutter gibt. Rombos Zuneigung für Shimba gleicht allerdings eher in einer „Helden-Verehrung“, da Shimba um Einiges älter ist. Aber das ist ganz natürlich unter Elefantenbullen.


[k1]P.S. es gibt auch ein Nyika-Plateau in Malawi

[k2]Oben steht NBC