Mzima´s Rettung

Wir sind alle zutiefst geschockt über den nicht abreißenden Strom von Elefantenwaisen in unsere Nursery. Als wir am 16. September vom Chef-Wildhüter des Tsavo West Nationalparks, Daniel Woodley, zu einem weiteren Fall gerufen wurden, konnten wir es kaum glauben. Noch nie zuvor in der Geschichte des Trust hatten wir so viele Waisen auf einmal in der Nursery. Unsere Keeper gingen bereits jetzt auf dem Zahnfleisch, weil schlaflose Nächte nunmehr an der Tagesordnung waren. Ständig waren sie dabei sich um kürzlich gerettete Waisen zu kümmern. Als sie die Nachricht hörten, stiegen die drei Keeper jedoch mit der gleichen Hingabe wie immer an Bord der Maschine um ins eine Stunde entfernte Kilaguni in Tsavo West zu fliegen.

Am Tag zuvor hatte die Anti-Wilderer-Einheit „Mtito“ des David Sheldrick Wildlife Trust die Nachricht über ein weiteres Elefantenkalb in Not erhalten und war seiner Fährte in der Nähe der Kilaguni Lodge gefolgt, wo es in den letzten Tagen häufiger gesehen wurde, wenn es um 11 Uhr am Wasserloch trank. Die Gäste der Lodge beobachteten das Kälbchen mit großer Sorge, als es allein in der Wildnis Tsavos verschwand, und sie fragten sich jeden Tag, ob sie es wohl am nächsten wiedersehen würden. Am dritten Tag war allen klar, dass dieser Elefant ein Waise sein musste, und er verlor so schnell an Kraft, dass er nicht einmal mehr mit der Zebraherde Schritt halten konnte. Der Kenya Wildlife Serve (KWS) entschied sich für eine Rettungsaktion, bevor es zu spät war. Als unser Anti-Wilderer-Team gegen 15 Uhr nachmittags in der Kilaguni Lodge eintraf, konnten sie es auch nach gründlicher Suche nirgendwo finden.

Die Kilaguni Lodge liegt direkt an der Chyulu-Bergkette, eine Reihe runder Gipfel aus lockerer, vulkanischer Asche, die sich ca. 2000 Meter über der trockenen Steppenlandschaft zu ihren Füßen erheben. Die jüngsten der Berge entstanden erst vor 500 Jahren. Die Gipfel fangen jährlich etwa 900 mm Wasser aus den Wolken auf, das sich dann schwammartig im Vulkangestein verteilt, bevor es schließlich die unterirdischen Wasserläufe erreicht, die zu einer Oase in der trockenen Landschaft von Tsavo West führen – nach Mzima Springs. Ganz in der Nähe dieser Quellen wurde auch das Elefantenbaby schließlich gegen Mittag des nächsten Tages aufgespürt, nachdem unser Anti-Wilderer-Trupp die Suche wieder aufgenommen hatte. Unter der Leitung von Alex Macharia, dem einzigen in der Gruppe, der schon einmal ein Elefantenkalb eingefangen hat, stellten sie sich der gewaltigen Aufgabe einen 16 Monate alten, wilden Elefanten einzufangen. Sie haben einen fantastischen Job gemacht, denn das Kälbchen war trotz allem schwer und stark, und es gelang ihnen schließlich auch, ihn auf den Landrover aufzuladen – wobei das eindeutig der schwierigere Teil der Aufgabe war.

Bei seiner Ankunft in der Nairobi Nursery, versetzte uns Mzima – so hatten wir ihn inzwischen genannt – alle in Staunen. Angekommen in seinem Stall und wieder auf Beinen, kam er nicht einmal auf die Idee die Keeper anzugreifen. Nein, stattdessen begrüßte er sie, suchte den Kontakt, und ganz offenbar liebte er das frische Grün, dass man ihm in seinen Stall gelegt hatte. Die Milch in der Flasche verunsicherte ihn anfangs ein wenig, und er so trank er vorerst auch nicht daraus. Aber es war einfach unglaublich, dass dieser freundliche Elefant am gleichen Morgen noch in der Wildnis gelebt haben sollte. Vermutlich wirkten die Beruhigungsmittel noch.

Am nächsten Tag das gleiche Spiel: er genoss es, wenn ihm sein Kopf gekrault wurde und lernte schnell an den Fingern der Keeper zu saugen. Die Nähe von Shimba und Siria im Stall nebenan hatte ihn über Nacht offenbar beruhigt, aber er war dennoch unglaublich zahm für einen Elefanten, der gerade erst gerettet wurde. Es dauerte zum Glück nicht lange, und er begann von seiner Milch zu trinken. Er wurde schließlich so gierig, dass er fast die Plastikflasche verschluckte, als er auch die letzten Tropfen der köstlichen Flüssigkeit noch herauszusaugen versuchte, die er so lange entbehren musste.

Den nächsten Tag verbrachte er bereits mit der Nursery-Herde, die nunmehr 14 Mitglieder zählte. Bei seiner ersten Besuchsstunde am Schlammbad, stieg er ohne zu Zögern mit den anderen in die Suhle, und war danach einer der ersten, der zur Milchflasche stürmte – der Alltag in der Nursery hatte ihn also bereits erfasst. Nachdem er so lange ohne seine Mutter und seine Herde umherirrte, weiß er die Gesellschaft von gleichaltrigen Elefantenwaisen, aber auch Menschen, umso mehr zu schätzen.

Seine Reaktion auf all das, was ihm zugestoßen war, kam erst später. Obwohl er sich schnell eingelebt hatte und ein sehr ruhiger und liebevoller kleiner Bulle ist, so umgibt ihn seit einer Weile eine große Traurigkeit. Jetzt, da er sich nicht mehr nur um das reine Überleben kümmern muss, scheint ihm das Ausmaß seines Verlustes erst bewusst zu werden. Leider kann nur die Zeit diese Wunden heilen.

 

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