Newsletter aus Kenia/die Eli-Waisen im September 2007

Die Nursery-Waisen

Es gab zwei weitere Neuankömmlinge in der Nairobi Nursery: ein zehn Monate altes Baby aus dem Amboseli Nationalpark, das am aus einer Grube in der Nähe der tansanischen Grenze befreit wurde, und ein winziges vierwöchiges Kälbchen aus Tsavo, das in einen Schacht der Mzima/Mombasa Pipeline gefallen war – so wie bereits drei anderer unserer Waisen. Die Rettung des Amboseli-Kalbs Sinya war dramatisch, denn zum Zeitpunkt,. als der kleine Elefant befreit werden konnte, war das Flugzeug bereits zur Umkehr nach Nairobi gezwungen. Darum mussten die Keeper und das Kälbchen eine sehr ungemütliche und kalte Nacht in einer Hütte auf dem Flugplatz in Amboseli verbringen, umringt von gierigen Hyänen und einer Herde grasender Büffel.

Das kleine Pipeline-Opfer wurde Dida genannt (nach „Dida Harea“, einem Wasserloch in der Nähe des Fundortes, was in der Liangulu-Sprache so viel heißt wie „Ort des Zebras“) und kam trotz einer dramatischen Rettungsaktion in einer guten Verfassung bei uns an. Bis zur Rüsselspitze stand sie für mehrere Stunden im Wasser. Nur mit großen Schwierigkeiten konnte sie aus dem Schacht befreit werden und ist somit sehr anfällig für eine Lungenentzündung. Sie wird also über längere Zeit prophylaktisch mit Antibiotika behandelt werden müssen, genauso wie das Sinya, die fürchterliche Wunden davon trug. Ihre Rüsselspitze wurde von Hyänen angefressen, als sie in der Grube gefangen war. Außerdem ist sie überall mit Quetschungen übersät, auf dem Rücken hat sie eine große Schwellung und außerdem eine infizierte Wunde am Bein, die täglich gereinigt werden muss. Beide Kälbchen haben sich gut eingelebt und gehören mittlerweile zu Lesanjus „Baby-Trupp“ innerhalb der Nursery-Gruppe.

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Die Umsiedelung von Zurura und Kamboyo nach Ithumba ist mittlerweile mehr als überfällig, allerdings muss noch abgewartet werden, bis die Regenfälle im Norden einsetzen, die frisches Futter und Abkühlung bringen. (Elefanten sind Hitzestress gegenüber sehr empfindlich. Sie haben keine Schweißdrüsen und brauchen daher Zeit sich anzupassen, wenn sie aus kühlerem Klima kommen.) Beide sind größer als Leitkuh Lenana, für die es schwierig ist, sie unter Kontrolle zu halten. Dies gilt auch für die Keeper und vor allem für die Kühe (Lenana, Chyulu und Makena), die ständig bestiegen werden. Es ist an der Zeit, dass sie von älteren Elefanten erzogen werden, die sie zur Raison rufen und ihnen Manieren beibringen, denn Schikane von Jüngeren wird unter Elefanten nicht toleriert. Wenn sie dann einmal in Ithumba sind, werden sich Yatta, Mulika, Napasha, Kinna und Nasalot ihrer annehmen, genauso wie all die älteren Bullen, die sie bereits aus der Nursery kennen.

Shimba

Klein Lesanju, die sich immer dagegen gewehrt hat von den älteren Kühen „in Besitz genommen zu werden“, entwickelte sich inzwischen zu einer sehr fürsorglichen Mini-Leitkuh für die Kleinsten. Sie begrüßte die Neuankömmlinge mit der Wärme einer Mutter und ruft Shimba (den einzigen kleinen Bullen) zur Ordnung. Jeden Morgen besucht sie die anderen in ihren Ställen, um sie über die obere Tür hinweg zu begrüßen, sie um sich zu scharen und einen weiteren Tag mit Lempaute, Shimba und den Keepern im Busch zu verbringen. Ihre Zuneigung für die beiden neuen Babys machte Lempaute eifersüchtig, hatte sie vorher doch unangefochten die Position des „Lieblings“ inne. Doch diese wollten nun auch die beiden Neuankömmlinge (Sinya und Dida) für sich beanspruchen, die sich die ganze Zeit über an Lesanju pressten und sie ganz für sich allein haben wollten. Weil die vier Wochen alte Dida bei Weitem die Jüngste ist, wurde auch Sinya ein bisschen missmutig. Shimba dagegen, mit seinem sehr entspannten Charakter, trottete nebenher und machte weitgehend sein eigenes Ding. Offenbar genoss er das Gefühl der Unabhängigkeit, denn manchmal fraß er ein wenig abseits von den vier Baby-Kühen. Eines Morgens wurde er jedoch jäh gestört von einer Herde Impalas, die ihn furchtbar erschraken, als sie an ihm vorbei rannten – wie ein Wahnsinniger hastete er zurück zu den anderen und den Keepern!

Baby Dida war nachts sehr verzweifelt, wenn sie von den anderen getrennt war, und das obwohl ihr Schlafplatz direkt an Shimbas grenzt und sie ihn sogar sehen konnte. Dennoch machte sie aus ihren Gefühlen keinen Hehl und jammerte so lange bis sie mit ihm zusammengelegt wurde. Offenbar vermisste sie ihre Mutter ganz bitterlich und wollte am liebsten an Shimbas Ohren nuckeln. Das ging ihm allerdings zu weit und er schubste sie von sich, so dass ihr die Keeper ihren Finger als Trost zum Saugen gaben.

Die Ithumba-Waisen

Der September ist für gewöhnlich die heißeste Zeit des Jahres in Tsavo. Die Waisen trinken normalerweise, bevor sie anschließend auf Futtersuche gehen. Am 3. jedoch, als Napasha zu den Tränken kam, waren diese fast vollständig geleert. Eine wilde Herde hatte in der Nacht ihren Durst gestillt. Mit einem empörten Kollern gab er den anderen der Gruppe Bescheid, die zusammen die Keeper aufsuchten, bis die mehr Wasser in die Tränke ließen. Als Napasha versuchte, die anderen vom Trinken abzuhalten, wurdeer-  kurzerhand von den vier älteren Kühen Yatta, Mulika, Nasalot und Kinna zur Raison gebracht. Sie schickten ihn weg, damit die Jüngeren trinken konnten, und um ihm zu zeigen, dass Egoismus gegen gute Elefantenmanieren verstößt Als Napasha und Tomboi dann auch noch ihre Vorderbeine in die Tränke hielten und somit das Trinkwasser der Waisen verschmutzen, wurde Mulika sehr ärgerlich. Zusammen mit Kinna scheuchte sie die beiden vom Gelände, und sie wurden nicht mehr herangelassen, bis alle anderen Waisen mit Trinken fertig waren und zur Futtersuche aufgebrochen waren.

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Das Rudel Wildhunde, das auch in der Gegend wohnt, trinkt regelmäßig in den Stallungen der Waisen. Offenbar wurden die Hunde ein wenig leichtsinnig, denn als sie sich eines Morgens ans Trinken machten, bemerkten sie überhaupt nicht, dass sie von den größeren Elefanten angegriffen wurden, die sie davonjagen wollten. Die Waisen drängten sich dicht zusammen vor den Eingang zu den Ställen, bis sie die Hunde nicht mehr sehen konnten.

Sian ist Langstreckenläuferin, was sie wahrscheinlich von ihrer Elefantenfamilie in Amboseli mitbekommen hat, die oftmals weite Strecken zwischen Kenia und Tansania zurücklegen. So lotste sie die Keeper und die älteren Waisen bei einer Verfolgungsjagd auf Wildgänse in Richtung des weit entfernten Kone. Am 14. September war sie wieder Anführerin der Gruppe, und als sie einmal warm gelaufen war, ließ sie sich auch von Yatta und den älteren Elefanten nicht abbringen. Am Ende waren alle Keeper und die jüngeren Mitglieder der Gruppe völlig erschöpft, und diejenigen, die ihre Mittagsmilch noch erhalten, kamen zwei Stunden zu spät für ihre Flasche und zum Schlammbad. Am Abend des 17. wurden Sian und Kora so sehr von ein paar Warzenschweinen erschreckt, dass sie in Ihrer Verwirrung davonrannten und lange verschwunden waren, so dass die Keeper, Leitkuh Yatta und ein paar andere der Waisen die Suche aufnahmen. Als es dunkel wurde, hatten sie sie immer noch nicht eingeholt. Die Keeper konnten der Spur nicht länger folgen, so dass sie aufgeben mussten und das Weitersuchen Yatta und den anderen Elefanten überließen. Zur großen Erleichterung der Keeper kehrten diese schließlich mit dem vermissten Duo zurück in die Ställe, doch es dauerte bis weit nach 21 Uhr. Yatta, Mulika, Nasalot und Kinna, zusammen mit Big Boy Napasha, sind sehr fürsorgliche Gruppenführer, so dass sie trotz ihres noch eigenen jungen Alters für die Keeper enorm wichtig sind, um die anderen zwanzig jungen Elefanten in Ithumba unter Kontrolle zu halten.

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An einem anderen Tag rannten sie versehentlich mitten hinein in zwei sehr große wilde Bullen, die auf dem Weg zur Flugzeug-Landebahn waren. Mulika brüllte laut, als sie von einem der Bullen mit seinem Rüssel zurückgehalten wurde, und das löste ein Drama aus! Alle Waisen rannten so schnell, wie sie konnten, in den Schutz ihrer Keeper, und diese versuchten sich selbst zu retten – vor den panischen Waisen als auch vor den beiden Bullen! Nur Napasha war mutig genug, nicht nur an Ort und Stelle stehen zu bleiben, sondern den Bullen auch noch zu folgen, als diese sich weiter Richtung Norden bewegten. Als er jedoch bemerkte, dass er ganz allein war, entschied er sich dagegen so weit von der Gruppe weg zu laufen! Yatta und die älteren Kühe begegneten später nochmals zwei anderen wilden Bullen, die Sian erschreckten. Die Keeper riefen nach ihr, und der Klang menschlicher Stimmen reichte aus, um die zwei Bullen schnell zu verjagen. Die Elefanten aus dem Norden haben die drei Jahrzehnte der Wilderei in den 70ern, 80ern und 90ern noch nicht vergessen und sind nach wie vor sehr wachsam gegenüber Menschen.

Die Voi-Waisen

Alle Waisen, außer die seit jeher ertwas schwächliche Mweiga, wandern jetzt frei durch den Busch, völlig unabhängig von ihren Keepern. Sie entdecken neue Futterstellen entlang des Voi-Flusses und darüber hinaus, sie vermengen sich mit ihren wilden Freunden und bleiben dennoch in Verbindung mit ihrer Waisen-„Familie“. Die Tatsache, dass die Voi-Gruppe jetzt auch die Nacht im Freien verbringt, hat die Arbeit der Keeper immens entlastet, besonders durch den Wegfall der Suche nach Futterstellen außerhalb der Parkgrenzen, was besonders in der Trockenzeit eine sehr mühselige Aufgabe war. Die Voi-Waisen, außer Mweiga, suchen sich jetzt ihr eigenes Futter und gehen, wohin sie wollen. Die Jüngeren, die wir seit Natumis Weggang „Thomas Gruppe“ nannten, haben sich mittlerweile mit Natumis Gruppe zusammengeschlossen und sind als Gruppe unterwegs, wenn auch nicht immer alle gemeinsam. Natumi war die Leitkuh, als Emily damals mit ihrer Gruppe fortging, und danach übernahm Thoma die Führung der Jüngsten, die noch immer in den Stallungen blieben. Jetzt, da auch Thomas Gruppe in Freiheit lebt, verbringen sie die meiste Zeit mit Natumis Trupp, manchmal auch mit Emilys Gruppe. Das zeigt, dass die Waisen auch als „wilde“ Elefanten in einem losen Familienverbund weiter zusammenleben werden.

Aitong

Manchmal tauchen sie vereinzelt ohne die ganze Gruppe an den Stallungen auf, um ihren Durst zu stillen; manchmal kommen sie alle geschlossen, um Mweiga zu besuchen – in den Stallungen, beim Schlammbad oder an der Futterstelle. Manchmal lassen sie sich jedoch auch überhaupt nicht blicken. Dennoch ist es rührend, dass immer einer der „Freigeister“ zurückkehrt und der „Betreuung“ von Mweiga nachkommt. So ist sie niemals allein, und je nachdem, welcher Elefant sich tagsüber um sie kümmert, verbringt auch die Nacht bei ihr im Stall. Mweiga ist zu gebrechlich, um nachts draußen zu bleiben. Raubtiere würden ihre Schwäche sofort bemerken, und gerade die Tsavo-Löwen leben in großen Rudeln. In diesem Monat begann Mweya mit der Betreuung von Mweiga und wurde dann von Morani aubgelöst, der für mehrere Tage bei ihr blieb, bis Burra eintraf, just an dem Tag, als auch Uaso den Stallungen wieder einen Besuch abstattete, diesmal zusammen mit Natumis Gruppe. Burra blieb längere Zeit bei Mweiga, bis Mweya am 22. zurückkehrte und wieder übernahm. Mweya war Mweiga gegenüber schon immer sehr fürsorglich und liebevoll, genauso wie Sosian. Daher ist es verwunderlich, dass Sosian bisher keinen „Pflicht-Dienst“ hatte! Er wird wahrscheinlich im nächsten Monat an der Reihe sein. Die aus Natumis und Thomas Gruppen gemischte Familie bleibt Mweiga und dem Basislager sehr eng verbunden. Emily dagegen kommt immer seltener, obwohl auch sie in diesem Monat einige Male vorbei schaute. Einmal mit Uaso im Schlepptau, mit dem sie das neue Waisenbaby „Msinga“ aus der Obhut der Keeper übernahm.

Als Emily später wieder gesichtet wurde, war Msinga nicht mehr in ihrer Gruppe. Wahrscheinlich hat das dreijährige Kälbchen angenehmere Gesellschaft gefunden. In Anbetracht der anstehenden Regenfälle, hat sie mit ihren drei Jahren gute Chancen ohne Milch auszukommen.

Lissa und ihre drei in der Wildnis geborenen Kälber haben diesen Monat auch die Stallungen besucht und verbrachten ihre Zeit mit Spielen um den Wassertrog. Sie wurden von einer jungen wilden Kuh im Teenageralter begleitet.

Lissa mit ihrem Nachwuchs

Am 16. kamen nur Loisaba und Mvita aus Emilys Gruppe zur Tränke bei den Stockades, die anderen waren wahrscheinlich auf Mazinga Hill, wo es auch in der trockensten Periode noch grüne Blätter zwischen den Felsen zu finden gibt. Und am 18. brachte Aitong alle Waisen vom Berg herab für einen Trunk in den Stallungen. Nur Emily, Salama, Edie, Solango, Loisaba und Ndara blieben an der Futterstelle. An diesem Tag besuchten sie alle Mweiga und Mweya und gingen erst, als die beiden für die Nacht in ihren Stall gesperrt wurden. Am Morgen des 20. kamen Edie, Mukwaju, Mpala, Mweya und Lolokwe in die Stockades, um Mweiga und Burra dann schließlich erst im Busch zu finden. Natumi und alle anderen außer Laikipia, Salama und Emilys Trupp trafen sich später mit ihnen, und alle begleiteten Mweiga am Abend zurück in den Stall.

Es ist faszinierend, wenn man diese Elefanten seit dem frühesten Alter kennt und ihr Heranwachsen täglich mitverfolgt. Sie lehren uns so viel über ihre hoch entwickelten Persönlichkeiten, über ihre menschliche Art der Fürsorge, über ihr phänomenales Gedächtnis, und oft halten sie uns den Spiegel vor – mit den guten und manchmal auch schlechten Eigenschaften der menschlichen Spezies.