Abschied von Luggard

 

Der 11. Mai war einer der traurigsten Tage seit langem beim Sheldrick Wildlife Trust – am frühen Morgen starb der wunderbare kleine Elefant Luggard, von allen „Löwenherz“ genannt. Er tat seine letzten Atemzüge umgeben von liebenden Menschen und Elefanten.

Luggards Tod kam zwar plötzlich und unerwartet, aber im Grunde nicht allzu verwunderlich. Dass er überhaupt überlebte, nachdem er als kleines Kalb im Alter von vier Monaten mit schweren Schussverletzungen gefunden wurde, kam einem Wunder gleich! Bei seiner Rettung war sein Hinterbein von Gewehrkugeln geradezu zertrümmert gewesen, und viele hatten keine andere Möglichkeit gesehen, als ihn direkt einzuschläfern. Aus seinen Augen strahlte jedoch ein unbändiger Wille zu überleben, und so taten alle ihr bestes, um ihn zu retten. Die Keeper nannten ihn „Löwenherz“ wegen dieses Lebensmutes, und mit diesem kämpfte er sich durch die fünf Jahre seines folgenden Lebens. Am Ende aber schaffte es wohl sein Körper nicht mehr.

Alle beim SWT hatten gehofft, dass Luggards Körper wieder heilen würde, wenn er heranwuchs. Doch das Gegenteil war der Fall: es wurde mit der Zeit immer kritischer. Zunächst schwoll sein Hinterbein ab und zu an und hinderte ihn am Laufen. Anfangs erholte er sich in solchen Fällen schnell, aber in letzter Zeit passierte das immer häufiger. Wenn Elefanten leiden, ist dies häufig mit einem emotionalen Niedergang verbunden – Luggard dagegen war bis zum Ende immer gut gelaunt und fröhlich! Wann immer er umrüsselt wurde oder von einem Keeper am Ohr geschuffelt, kollerte er genüsslich und zeigte damit, wie glücklich ihn das machte.

Zwei Tage vor seinem Tod änderte sich das. Luggard hatte immer einen ausgezeichneten Schlaf; er war einer der ersten Waisen, die sich abends hinlegten und der letzte, der morgens aufstand. So befürchteten die Keeper das schlimmste, als er plötzlich die ganze Nacht still in seinem Gehege stand. Am nächsten Tag schien er wieder gut gelaunt zu sein, fraß gut und ließ sich von seinen Adoptivmüttern umsorgen wie immer. Nachdem die Herde am Abend nach Hause gekommen war, brach er allerdings in seinem Gehege zusammen und blieb hilflos liegen. Niemand wusste, was getan werden konnte, und statt wieder aufzustehen, schloss er schließlich für immer die Augen und starb friedlich unter dem nächtlichen Sternenhimmel.

Alle beim SWT waren bestürzt und fragten sich, was für ihn hätte getan werden können. Aber es scheint, als ob Luggard einfach seinem allzu schwierigen Leben ein frühes Ende gesetzt hatte. In den letzten Monaten war er immer wieder von Tierärzten untersucht worden, in der Hoffnung herauszufinden, warum es ihm körperlich immer schlechter ging. Erst vor einer Woche wurde ein Tierarzt aus Nairobi eingeflogen, der eine Reihe von Blutuntersuchungen vornahm. Nichts schlüssiges kam dabei heraus – seine Blutwerte waren erstaunlich gut, auch wenn sein körperlicher Zustand etwas anderes vermuten ließ. Den Keepern war keine Mühe zu viel, ihm das Leben leichter zu machen. Weil er nicht weit laufen und Grün finden konnte, bekam er immer wieder nahrhaftes Ergänzungsfutter und frisch geschnittenes Grün. Tagsüber blieben sie mit ihm im nahen Umkreis um die Auswilderungsstation, damit er sich nicht durch schweres Gelände kämpfen musste. Aber vor allem achteten sie darauf, dass er immer Teil der Herde blieb, denn am wichtigsten war es für ihn, in Gesellschaft von anderen Elefanten und seinen Keepern zu sein.

Dementsprechend umsorgten ihn auch die älteren Kühe der Waisenherde in Umani Springs vorbildlich. Von dem Moment an, in dem er vor einem Jahr im Kibwezi-Wald angekommen war, kümmerten sich Murera, Sonje, Lima Lima und Quanza ununterbrochen um ihn. Sie vermieden es, größere Touren zu gehen, da sie sich der Einschränkungen, die seine Verletzung mit sich brachte, bewusst waren. Sie sorgten dafür, dass immer jemand bei ihm war, und das störte sie auch niemals; im Gegenteil: es schien immer eine besondere Ehre für sie zu sein, Luggard babysitten zu dürfen!

Luggard in die Auswilderungsstation in Umani Springs zu bringen, war wohl auch die einzig sinnvolle Möglichkeit. Als er im Waisenhaus in Nairobi langsam größer wurde, zeigte sich, dass er mehr vom Leben brauchte als er in diesem eingeschränkten Umfeld bekommen konnte. Und für Elefanten ist eine Umgebung, in der sie sich wohlfühlen, ebenso wichtig wie körperliche Gesundheit. Diese letzte Station in seinem Leben war ohne Zweifel eine glückliche Zeit für ihn – umgeben von allem, was die Wildnis, in die er eigentlich gehört, zu bieten hat, aber gleichzeitig beschützt, umsorgt und geliebt von älteren Kühen.

Von Löwenherz Luggard kann man viel lernen. Trotz all des Leids, das ihm angetan wurde, zeigte er niemals Bitterkeit oder Bösartigkeit Menschen gegenüber. In den ersten Wochen seines Lebens im Waisenhaus, in denen er unermessliche Schmerzen durchgestanden haben muss, ließ er sich nie unterkriegen. Stattdessen hinkte er jeden Morgen frohen Mutes aus seinem Stall und freute sich auf neue Begegnungen mit seinen Freunden und auf einen neuen Tag voller spannender Erlebnisse! Genauso unvoreingenommen war er in Umani Springs, wie ein Erlebnis von Anfang des Jahres zeigt: Als die Waisenherde eines Nachmittags im Wald auf einen stattlichen wilden Bullen traf, hielten alle vorsichtig Abstand – aber Luggard, der zuvor immer sehr zurückhaltend seinen wilden Artgenossen gegenüber gewesen war, ging direkt auf ihn zu und begrüßte ihn freundlich! Der ganz kleine und der sehr große Elefant plauderten eine Weile miteinander, bevor Luggard wieder zurück zur Herde kam und dabei sehr stolz aussah, über seinen Schatten gesprungen zu sein und neue Bekanntschaften geschlossen zu haben!

In einer besseren Welt wäre Luggard zweifellos ebenfalls zu so einem majestätischen Bullen herangewachsen. Obwohl ihm dies verwehrt blieb, waren doch seine wenigen Lebensjahre nach seiner Rettung eine gute Zeit für ihn. Alle, die er nun mit einem Stückchen Leere im Herzen zurücklässt, wünschen sich, dass es anders gekommen wäre: die Keeper und die Elefanten, die seinen Lebensweg begleitet haben, und auch die Menschen, die Paten, überall auf der Welt, die zu allem Glück, das er noch erleben durfte, beigetragen haben. Er war ein wundervoller Elefant von einer ausgesprochen freundlichen Natur – ein Spiegel all dessen, was diese einzigartigen Tiere ausmacht. Diese Erinnerung an ihn wird für immer in denen, die ihn liebten, weiterleben.

(übersetzt aus dem englischen Original; alle Bilder © Sheldrick Wildlife Trust)