Newsletter aus Kenia / die Eli-Waisen im August 2006

Die Nursery-Waisen

Eine große Enttäuschung – und eine große Sorge – ist weiterhin die Wunde in Koras Kiefer. Alle hatten gehofft, sie würde nach der langen Behandlung mit Penicillin-Injektionen endlich abheilen. Die Wunde hatte sich bereits geschlossen und machte für zwei Wochen den Anschein zu verheilen, als erneut große Mengen wässrigen Eiters austraten. Da die Tierärzte felsenfest davon überzeugt sind, dass eine Operation ein zu großes Risiko birgt, sind wir derzeit recht ratlos, weil wir nicht wissen, was wir noch versuchen könnten. Die Tiermediziner raten dazu, ihn so schnell wie möglich nach Tsavo zu bringen, wo er bessere Weidemöglichkeiten hat, mit mineralstoff- und vitaminreichem Futter. Dort könne man die homöopathische Behandlung weiterführen und weiter abwarten.

Neuankömmling in der Nursery war ein kleines Eli-Mädchen namens Chyulu, das vom Chyulu Hills De-Snaring Team des Trusts gerettet und über Nacht in den Voi-Stallungen untergebracht wurde, bevor man es per Hubschrauber nach Nairobi brachte. Sie ist etwa sechs Monate alt und war bei ihrer Ankunft bereits sehr freundlich. Sie hat sich umgehend eingefügt, wurde mit viel Getöse begrüßt von Loijuk, Lualeni und (eher überraschend) Makena, von der wir eigentlich erwartet hatten, dass sie etwas eifersüchtig reagiert, sobald sie Lualenis Aufmerksamkeit teilen muss. Doch ganz im Gegenteil – auch Makena möchte für das Baby eine „Mami“ sein. Chyulu hatte bald die ungeteilte Aufmerksamkeit der drei jungen Mädchen, doch ganz besonders die von Loijuk, die sie als „ihr“ ganz besonderes Baby behandelte. Merkwürdigerweise schien Sian eher uninteressiert, obwohl die Keeper geglaubt hatten, sie würde die Position der Mini-Matriarchin übernehmen,. Stattdessen ließ sie es zu, dass sich die anderen jungen Eli-Mädchen der neuen Kleinen annehmen.

Wie immer hatten die Nursery-Waisen viel Spaß beim Fußballspielen mit den Keepern und gaben vor den staunenden Touristen und Schulklassen auch ganz kräftig damit an. Makena ist der „Beckham“ des Baby-Fußballs, während Zurura, der ein Spitzenspieler sein könnte, sich zu leicht vom Gelächter der Zuschauer ablenken lässt.

Lualenis Zuneigung für Makena ist nach wie vor unerschütterlich, genauso wie die Rivalität zwischen Zurura und Makena. Kora, der gern entfernt von der Waisenkindergruppe frisst, wird immer mehr zum Vorbild von Zurura, wenn der nicht gerade Makena ärgert oder Kamboyo provoziert, der sich immer gern mit den gleichaltrigen Bullen seiner Gruppe rauft. Kora ist sehr liebevoll mit Zurura und Kamboya, und wenn die beiden mit ihm rangeln möchten, lässt er sie gewinnen. Das gefällt den beiden natürlich unwahrscheinlich und stärkt ihr Selbstbewusstsein.

Die Ithumba-Waisen

Die Fortschritte von Sidai, Orok und Challa zeigen, dass sie sich inzwischen wunderbar eingelebt haben und ein fester Bestandteil der Gruppe sind. Orok genießt nach wie vor die Privilegien eines Lieblingsbabys von Nasalot, von denen auch Sidai, seine Freundin aus der Nurery, profitiert. Wendi ist und bleibt das extrovertierte Mitglied der Gruppe und freut sich über alle menschlichen Besucher, denen sie dann prompt ihre Kunststücke vorführt, um die gebührende Aufmerksamkeit zu erlangen. Wendi und Galana haben sich zur gleichen Zeit entschieden, mittags und abends auf ihre Milch-Mahlzeiten zu verzichten. Da Wendi am 11. September ihren 4. Geburtstag feiert und auch Galana bereits ihr 4. Lebensjahr erreicht hat, ist es tatsächlich an der Zeit, die Milchnahrung vollständig abzusetzen.

Challa

Sunyei treibt weiterhin ihre Spielchen und rauscht mit ohrenbetäubendem Trompeten aus dem Gebüsch, um die anderen zu erschrecken. Einmal bezog sie Challa in ihren Streich mit ein – sehr erfolgreich, denn alle anderen flohen in den Schutz der Keeper. Aber die vier älteren Mädchen blieben noch viele Minuten alarmiert an Ort und Stelle, um zu überprüfen, ob es sich um „falschen Alarm“handelte oder nicht!

Challa und Madiba sind dicke Freunde, genauso wie Buchuma und Rapsu, die sich ebenfalls gern rangeln und ihre Kräfte testen. Rapsu, der die längeren Stoßzähne hat, ist im Vorteil gegen Buchuma, der ebenfalls Tomboi vergöttert. Dies ist sehr offensichtlich, weil die beiden sich mit ihren Rüsseln umschlingen – ein Akt der Freundschaft. Sunyei und Naserian haben ihre Freundschaft aus Zeiten in der Nursery wieder aufleben lassen und sehen sich, wie auch Wendi, als künftige Matriarchinnen der Waisen-Herde. Dennoch, die unbestrittenen Anführerinnen der Ithumba-Gruppe sind nach wie vor Yatta mit Mulika (die zwar größer, allerdings ein bisschen jünger als Yatta ist) als Stellvertreterin. Nasolot und Mulika liegen in der Rangfolge ebenfalls sehr dicht beieinander, und Kinna bleibt die Ordnungshüterin der Gruppe, die von allen Jungs respektiert wird.

Nasalot, Selengai & Kinna relaxing.

Neugierig auf den Kontakt mit wilden Elefanten, deren Fußspuren und Kot sie entlang der Wege nahe den Stallungen fand, verfolgte Yatta eine Spur in Richtung Westen – ohne die Keeper, die erst später nachkamen. Sie fanden heraus, dass Yatta und die anderen der Spur und dem Geruch eines einzelnen wilden Bullen folgten. Die vier älteren Mädchen waren sichtlich aufgeregt, ihn zu treffen, wurden allerdings vom verführerischen Anblick des Imenti Wasserlochs abgelenkt. Alle sprangen hinein, tauchten völlig unter und rollten sich umher „wie Fische“, so die Keeper, die bei ihnen waren. Auch viele wilde Elefanten suchen häufig das Imenti Wasserloch auf, trinken für gewöhnlich aber nur bei Nacht. Traurigerweise wird wahrscheinlich auch diese natürliche und mit Wasser gefüllte Senke vollkommen austrocknen, so dass die wilden Herden gezwungen sein werden, bis nach Tiva zurück zu gehen. Oder wir haben Glück, und sie kommen zu den Stockades, dem Nachtlager der Waisen, wo sie jederzeit frisches Wasser finden.

Napasha hat in einer naiven Anwandlung versucht, seine Kräfte bei Kinna und Mulika zu testen – beide Male wurde er Zweiter! Sidai und Challa hatten eine besonders aufregende Begegnung mit einem Dikdik, das sie mutig davonjagten! Abgesehen davon war es eine sehr friedliche Zeit für die Ithumba-Waisen, die in der glücklichen Lage sind, zurückgezogen und in Frieden im Tsavo-Elefantenparadies aufzuwachsen, wo sie jede Menge mineralstoffreiches Futter finden.

Die Voi-Waisen

Das größte Erlebnis in diesem Monat war die Tragödie um Ex-Waise Mpenzi, die ihr erstgeborenes Kalb an ein Rudel Löwen verlor. Dies passierte ganz in der Nähe der Voi Safari Lodge und wurde durch die Angestellten der Lodge bemerkt, die sogleich die Keeper alarmierten. Diese eilten der jungen Mutter sofort zu Hilfe, die ihr Kalb unmöglich allein gegen eine Gruppe von 12 zwölf Löwen verteidigen konnte. Jedes Mal, wenn sie es schaffte einen Löwen davon zu jagen, griffen die anderen an. Die Keeper konnten nicht mehr rechtzeitig zur Hilfe kommen. Das Baby war bereit tot. Sie waren ganz verzweifelt, als sie herausfanden, dass es sich bei der jungen Mutter um Mpenzi handelte, die 1992 geboren und als knapp zweijährige Waise in der Nähe des Park-Hauptquartiers gefunden wurde. Später wurde sie das Kindermädchen der beiden Babys der Ex-Waise Lissa.

Als jetzt die Keeper auftauchten, versuchte Mpenzi gerade verzweifelt, die Löwen davon abzuhalten, den Körper ihres toten Babys davonzuschleppen. Ihre Schläfendrüsen waren auffällig nass aufgrund ihrer großen Angst und Verzweiflung, als sie von den Löwen umringt wurde, die mehrmals versuchten, unter Furcht einflössendem Brüllen und Knurren, das Baby zu fassen. Sofort wusste sie, dass die Keeper Freunde waren, die ihr helfen wollten. Sie alle versuchten ihr Bestes, doch sogar zwei Fahrzeuge konnten die Löwen nicht aufhalten.

Als es dunkel wurde, wusste Mpenzi, dass es jetzt auch um ihr Leben ging, und sie entkam – zum Glück – unversehrt. Diese Tragödie wird jedoch zweifellos tiefe Narben auf ihrer Seele hinterlassen, denn Elefantenmütter – besonders, diejenigen, die als Waisen ohne ihre leibliche Familie aufwachsen mussten – lieben ihre Babys abgöttisch. Genau dieser Umstand war mit Sicherheit auch der Grund dafür, dass Mpenzi mit ihrem Erstgeborenen allein unterwegs war. Sie wollte ihr Baby nicht mit anderen teilen, denn Elefanten neigen dazu die Babys anderer zu entführen, wenn sie selbst ihrer Familien beraubt wurden. Normalerweise war Mpenzi zusammen mit Lissa und deren Familie unterwegs, manchmal sogar mit Emily und ihrer Gruppe; doch sie war selbst noch zu unerfahren, um zu wissen, dass es sehr gefährlich war, allein mit einem winzigen Kalb unterwegs zu sein – besonders in der Gegend der Voi Safari Lodge, denn dort leben Löwen in beachtlichen Rudeln und lauern öfters Tieren auf, die aus dem Wasserloch der Lodge trinken wollen. Wir leiden mit Mpenzi und können ihren Verlust nur allzu gut nachempfinden; dennoch sind wir sehr dankbar, dass sie selbst ohne Verletzung entkam. Beim nächsten Mal (und das wird es bestimmt geben!) wird sie aus diesem Fehler gelernt haben.

Die Keeper konnten Mpenzi am nächsten Tag aufspüren, und sie war noch immer sehr verzweifelt, doch eine wilde Gruppe war ganz in ihrer Nähe. Da sie noch immer Milch gab, wird sie wahrscheinlich Lissas jüngstem Kalb erlauben, sie zu säugen, sobald sie die Gruppe wieder trifft. Somit kommt die Milch, die eigentlich für ihre kleine Tochter bestimmt war, zumindest Lissas Baby zugute.

Geretttet wurde ein etwa sechs Monate altes weibliches Eli-Baby, das im Schlammloch nahe des Chyulu Hills Schutzgebietes feststeckte. Das Chyulu De-Snaring Team des Trusts fuhr das Kalb zu den Voi-Stockades, weil es zu spät war, um einen Flug zur Nairobi-Nursery per Hubschrauber zu organisieren. Das Kälbchen blieb für eine Nacht und wurde mit Elektrolyten und Milch gefüttert, weil es dehydriert war. In nur wenigen Stunden hatte es sich bereits eingewöhnt und saugte an den Fingern der Wärter. Nachdem es „Chyulu“ getauft wurde, brachte man es mit dem Hubschrauber am nächsten Morgen nach Nairobi.

Die Voi-Waisen waren diesen Monat wieder hauptsächlich mit der Futtersuche beschäftigt, denn die Dürre, von der besonders Somalia und die nordöstliche Provinz Kenias betroffen waren, spürt man auch im Park. Sie wird auch noch weiter anhalten, denn Regen wird erst im Oktober bzw. November erwartet. Trotz allem sind die Waisen in guter Verfassung und sogar Mweigas fragiler Zustand scheint sich zu bessern. Inzwischen hat sie zum ersten Mal überhaupt besonders viel Spaß beim Schlammbad.

Emilys Gruppe besuchte die Stockades in diesem Monat nur einmal, doch am Ende des Monats konnte sie mit einer wilden Gruppe von sieben Elefanten in der der Nähe der Voi Safari Lodge beobachtet werden. In dieser Gruppe befand sich ein etwa einjähriges Kalb, dem sie besonders viel Aufmerksamkeit schenkte. Die wilde Mutter fühlte sich dadurch aber keineswegs gestört, was vermuten lässt, dass die Gruppe Emily, Aitong, Sally, Tsavo und Illingwezi bereits sehr gut kennt. Am selben Tag sahen die Keeper auch Dika, der mit vielen anderen Elefanten am Wasserloch der Lodge trank und besonders interessiert an den wilden Kühen in der Gruppe war. Er beschnüffelte sie und legte seinen Rüssel liebevoll auf ihre Rücken. Am Ende des Monats traf die Voi-Gruppe noch auf einen anderen wilden Bullen im Teenager-Alter, mit dem sich Laikipia in einen freundschaftlichen kurzen Ringkampf lieferte. Der wilde Bulle hielt sich allerdings nicht sehr lange auf und hatte offensichtlich noch andere Pläne.

Burra

Die Voi-Waisen sind eine verspielte und sehr glückliche Herde, obwohl es derzeit augenscheinlich etwas Konkurrenzgerangel um den Titel der Matriarchin zwischen Natumi, Icholta und Edie gibt. Alle drei Mädchen sind etwa im gleichen Alter. Natumi führt allerdings nach wie vor, und wenn sich die jungen Kühe nicht einig werden können, übernimmt Laikipia das Zepter. Er und Burra sind definitiv die Spitzenreiter und herausragende Persönlichkeiten in der Jungs-Riege, dicht gefolgt von Lolokwe, Nyiro, Mukwaju, Irima und Solango. Morani ist sehr angetan von Loisaba, was kritisch beobachtet wird von Ndara, die Loisaba ebenfalls sehr nahe steht. Solango ist immer noch eng befreundet mit Seraa, die beide aus dem Shaba Reservat stammen und sich vielleicht sogar schon kannten, bevor sie ihre Mütter verloren.

Morani

Die gesamte Gruppe kümmert sich nach wie vor liebevoll um Mweiga, deren beste Freunde nach wie vor Sosian und Mweya sind. In diesem Monat begleitete sie den Rest der Gruppe zum Schlammbad, was ungewöhnlich war, denn bisher wartete sie immer, bis alle fertig waren, damit sie niemand versehentlich umwerfen konnte. Allerdings legt sie sich nach wie vor nur hin, wenn unbedingt nötig, aus Angst, dass sich jemand auf sie setzen könnte!