Der Umzug von Kilaguni, Chaimu und Sabachi

Der 7. Juni begann wieder einmal sehr früh am Morgen, denn an diesem Tag sollten drei weitere Elefantenwaisen in die Auswilderungsstation nach Ithumba, im nördlichen Teil des Nationalparks Tsavo-Ost, gebracht werden. Kilaguni, Chaimu und Sabachi sind inzwischen alle zwei Jahre alt, nach ihrer Odyssee des frühen Verwaisens körperlich und seelisch wieder hergestellt und somit bereit für den nächsten Schritt auf dem Weg zurück in die Wildnis. Denn dort gehören sie schließlich hin, inmitten ihrer wilden Artgenossen und an einen Ort, an dem sie genug Platz für ein schönes Elefantenleben haben.

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Drei große LKWs, die an der Laderampe der Nursery parkten, waren die ersten Vorboten für diesen großen Tag im Leben eines Nursery-Elefanten. In der Tat ist es ein feierlicher Augenblick, denn schließlich bedeutet dieser Umzug, dass drei Elefanten, die ohne den Trust wahrscheinlich nicht überlebt hätten, eine zweite Chance auf Leben bekommen haben. Sie haben die erste Etappe geschafft: von der Intensivpflege während ihrer fragilen Anfangszeit haben sie sich – trotz einiger Handicaps – körperlich und geistig prächtig entwickelt. Kilaguni hat zum Beispiel keinen Schwanz mehr, denn der wurde ihm von Hyänen abgekaut, die sich auch an dem Körper seiner verstorbenen Mutter labten. Chaimu ist auf einem Auge blind, weil er sich in seiner Angst um den Verlust seiner Mutter beim Rennen einen Stock hinein spießte. Sabachi fehlt sogar ein Stück ihres Rüssels! Auch sie wurde von Raubtieren angefressen, als sie hilflos im Schlamm feststeckte, wo sie ihre Familie zuvor zurücklassen musste. Auch wenn sie noch für ein paar Jahre die Keeper und vor allem die Zufütterung von Milch brauchen, so ist es an der Zeit, sie in eine natürliche Umgebung einzuführen, so dass ihr angeborenes genetisches Gedächtnis, mit dem alle Elefanten ausgestattet sind und das wir Menschen als „Instinkt“ bezeichnen, ein bisschen Übung bekommt. Je früher desto leichter werden sie sich wieder in die Wildnis integrieren.

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Während der letzten zwei Wochen war nun das IMAX-Filmteam in der Nursery, um unsere Waisen für einen 3D-Kinofilm aufzunehmen, die damit international noch bekannter werden dürften – und mit ihnen ihre Heimat Kenia. Hauptakteurin dieser wichtigen Dokumentarverfilmung wird Sities sein, die just am dem Tag in die Nursery gebracht wurde, als die Internationale Artenschutzkonferenz CITES in Doha, Katar, zugunsten der Elefanten abstimmte. Auch Kilaguni, Sabachi und Chaimu, die nun in die nächste Phase ihres Elefantenlebens übergehen, werden ebenfalls eine Hauptrolle spielen.

Die Filmcrew war inzwischen aus der Nursery abgereist und hat sich für den großen Tag mit ihrer imposanten 2-Tonnen-Kamera inklusive Kranvorrichtung in Ithumba eingerichtet. Etwa 23 Mitarbeiter gehören dem Team an, und sie alle warten gespannt darauf, die Ankunft der drei Nursery-Waisen und die stürmische Begrüßung der älteren Waisen in Ithumba filmen zu können.

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Gegen drei Uhr morgens am 7. Juni begann nun die Verladung der Elefanten, und nur eine Stunde später rollten die LKWs schon aus dem Gelände der Nursery. Jeder der Elefanten wurde auf der Fahrt von zwei Keepern begleitet, und Robert Carr-Hartley folgte dem Konvoi zusammen mit seinem Vater Roy und Dame Daphne in einem Landrover. Kilaguni, die sehr vertrauensvoll ist und ein sehr entspanntes Gemüt hat, bereitete schon während des Trainings keine Probleme. Sie lief einfach über die Rampe auf die Ladefläche und nahm dort ihre Milch entgegen. Chaimu und Sabachi hingegen wollten sich den Trucks überhaupt nicht nähern – nicht einmal ihre Milch konnte sie locken. Am besagten Morgen jedoch, mit Hilfe eines kleinen Schusses Stresnil -® (Azaperon, ein Beruhigungsmittel) und der Expertise aller beteiligten Helfer, allen voran Roy Carr-Hartley und sein Sohn Robert, wurden die beiden widerspenstigen Elefantenkinder ohne Schwierigkeiten an Bord gebracht.

Die erste Hälfte der Fahrt verlief glatt und ohne Zwischenfälle und führte den Konvoi auf der asphaltierten Mobasa-Hauptstraße bis nach Kibwezi. Dort wurden die LKWs neu betankt und es ging weiter auf einer Schotterpiste, die man kaum als Straße bezeichnen konnte. Die Fahrzeuge fuhren vorsichtig durch Schlaglöcher und hangelten sich entlang der erodierten Fahrbahn, mit gefährlichen Spurrillen und zentimeterdickem Dreck. Irgendwann erreichten die Fahrzeuge den Parkeingang und die Schönheit der Natur ersetzte die karge und der von völlig verarmten Menschen und ihren ausgezehrten Viehherden besiedelte Landschaft außerhalb des Nationalparks. Nachdem der Konvoi das Eingangstor passiert hatte, überholte der Landrover die Trucks mit den Elefanten, damit sie vorauseilen und der IMAX-Filmcrew Bescheid geben konnten.

Yatta und ihre Herde mit den Ex-Ithumba-Waisen, die inzwischen völlig unabhängig von menschlicher Hilfe in der Wildnis lebten, waren zu dieser Zeit weit weg vom Stallgelände, auf ihren Fersen war jedoch einer der Keeper, der ihre Fährte am Vortag vom Stallgelände aus verfolgt hat. Die Keeper sehen ab und an nach, ob die Herde wohlauf ist. Kinna setzte sich von Yattas Gruppe ab und eilte zurück zu den Waisen, die von Loijuk angeführt werden und graste mit ihnen in unmittelbarer Nähe des Stallgeländes.

Kinna und Loijuks Gruppe wollten bei der Ankunft der Nursery-Waisen unbedingt auf dem Gelände sein, so als ob sie davon wussten. Es ist und bleibt ein Rätsel, woher die Elefanten am Ankunftsort immer dieses Wissen nehmen, zumal gerade diese drei Nursery-Waisen mit dem Rest der Ithumba-Gruppe nie etwas zu tun hatten. Einzig und allein Meibai kannten sie flüchtig aus der Nursery. Den Keepern gelang es, sie mit verbaler Aufforderung ruhig zu halten und die Elefanten folgten artig.

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Erster beim Abstieg vom LKW war Kilaguni – freiwillig und somit eine große Ermutigung für die anderen beiden „feisten“ Babys Sabachi und Chaimu. Kilaguni trank seine Milch und wich den Keepern nicht von der Seite, während der nächste LKW mit Sabachi an Bord an die Rampe fuhr. Sabachi stieg mit ängstlicher Mine aus und rannte in seiner Verwirrung so lange umher bis er Kilaguni an der Stalltränke erblickte. Er rührte seine Milch erst an, als er bei Kilaguni stand. Chaimu tat es ihm nach, und sobald sich alle drei Nursery-Babys ein wenig gesammelt und abgekühlt hatten, funkte Head Keeper Benjamin die Keeper in Loijuks Gruppe (inklusive Kinna) an, damit sie die Neuankömmlinge jetzt willkommen heißen konnten.

Die Begrüßung war wie immer überschwänglich, voller Enthusiasmus, Wärme und Liebe. Alle Ithumba-Waisen sammelten sich um die Neuzugänge, was für die drei Babys am Anfang überwältigend gewesen sein musste. Den einzigen Elefanten, den sie eventuell noch in vager Erinnerung haben konnten, war Meibai, die während der Dürre 2009 für kurze Zeit in der Nursery lebte. Da sie zu diesem Zeitpunkt schon älter war, hatte man sie bald nach Ithumba umgesiedelt. Nach dieser ersten heißen und innigen Begrüßung brachten Kinna, Loijuk und die anderen Waisen die Neuankömmlinge zum Schlammbad, wo sich alle abkühlten. Sie wurden danach von den Keepern in den Busch geführt, um dort zu grasen, und die drei Babys fanden sich inmitten einer riesigen Auswahl an Elefantendelikatessen wieder – Pflanzen, die man in Nairobi niemals finden würde.

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Noch am selben Nachmittag, kam Yatta mit ihrer Herde und begrüßte die Neuzugänge. Mit dabei war ihr wilder Rekrut, ein 14-jähriger Jungbulle namens Mgeni, was so viel heißt wie „Besucher“. Mgeni ist inzwischen mehr oder weniger fester Bestandteil in Yattas Gruppe. Er läuft sogar neben den Keepern her und hört auf ihre Anweisungen! Es war sehr beeindruckend, mit wie viel Zuneigung ca. 30 riesige, augenscheinlich “wilde“ Elefanten die drei Miniaturen in ihre Mitte nahmen und sich um die Elefanten herum ihre Menschenfamilie versammelte, die sie alle von frühester Kindheit an bis hierher begleitet hat. Am unglaublichsten jedoch war, dass die ehemaligen Waisen sofort ihre einstigen Keeper aus der Nursery wiedererkannten, die die Babys aus Nairobi nach Ithumba brachten! Bei manchen waren seither Jahre vergangen! Nicht nur die Babys waren völlig überwältigt, auch die Keeper aus Nairobi, die alle hier versammelten Elefanten schon aus der Nursery kannten – aber kaum mehr wiedererkannten!

Für die noch milchbedürftigen Jüngsten, angeführt von Loijuk, war es inzwischen Zeit, ihr Nachtlager einzunehmen. Kilaguni, Sabachi und Chaimu wurden bei Meibai und der gebrechlichen Sian einquartiert. Dame Daphne jedoch bat jedoch darum, dass auch Loijuk bei ihnen bleiben sollte, weil sie befürchtete, dass Meibai ein eifersüchtig sein könnte. Schließlich war er bis dato das Nesthäkchen und im Genuss der ungeteilten Aufmerksamkeit aller Ithumba-Elefanten gewesen. Jetzt wurde er mit drei noch kleineren Elefanten konfrontiert und hatte miterlebt, mit viel Freude sie empfangen wurden, so dass er ein bisschen trotzig war und versuchte, Kilaguni zu besteigen. Loijuk rief ihn zur Ordnung, und so wurde er nach nebenan zu Makena, Kora und Zurura gebracht. Keeper Mischak blieb noch lange bei den Nursery-Babys, bis sich Kilaguni, die lange schrie, wieder beruhigt hatte. Mischak meinte, sie vermisse ihre Decke aus der Nursery! Loijuk und die kranke Sian versuchten ihn zu trösten so gut es ging, und so dauerte es nicht lange und die drei Neuzugänge knabberten genüsslich an ihrer Ration Grünzeug für die Nacht.

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Yattas Herde blieb auf dem Gelände, beobachtete die neuen Babys noch eine Weile und zog schließlich los in den Busch. Allerdings blieben sie über Nacht ganz in der Nähe, so dass sie gleich am nächsten Morgen wieder kamen und die Umarmungen von Neuem begannen. Die IMAX-Filmcrew, die schon die Ankunft festgehalten hatte, war mit ihrer Ausrüstung inzwischen zum Schlammloch umgezogen, wo auch extra frische rote Tsavo-Erde aufgeschüttet war, mit der sich die Elefanten nach dem Suhlen immer gerne bewerfen.

Die drei Neuzugänge waren die ersten, die ihre Milch bekamen und somit auch die ersten, die sich im Dreck wälzten. Loijuk und ihre Gruppe folgten, sobald alle, die noch Milch bekamen, fertig getrunken hatten. Sie alle genossen das Suhlen im Schlamm und duschten in roter Tsavo-Erde, die überall in die Luft geschleudert wurde und auf die Elefantenkörper hinab rieselte.

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Der Himmel war wolkenverhangen, so dass die Elefanten nicht zum Schwimmen ins Wasser gehen wollten. Kilaguni, Sabachi und Chaimu hegten durchaus den Wunsch, allerdings hatten sie noch nie zuvor so etwas wie einen Mini-See gesehen und hatten zu viel Angst davor, so dass sie sich nur ein wenig mit Wasser bespritzten.

Auch Yattas Ex-Waisen kamen mitsamt dem wilden Mgeni als riesige Herde großer Elefanten. Die Aufmerksamkeit aller Kühe richtete sich Augenblicklich auf die drei kleinen Neuzugänge. Besonders Chaimu und Sabachi hatten viel Spaß dabei, die Kleinsten unter den vielen Großen zu sein. Sie badeten in all der Aufmerksamkeit, während sich Kilaguni schüchtern an ihre Keeper hielt. Die ganze Herde badete in Staub und Dreck und die IMAX-Kamera schwebte derweil über und um die Gruppe, die ab und an aus der riesigen roten Wolke auftauchte. Der wilde Mgeni stellte sich auf die Spitze des aufgeschütteten Erdhaufens und genoss sichtlich die Bewunderung der jüngeren Bullen, von denen sich keiner traute, es mit ihm aufzunehmen. Buchuma und Ndomot waren inzwischen auf der anderen Seite des Pools in ein kleines Kräftemessen verwickelt und spielten Fangen durch die Büsche. Um den Gegner zu erschrecken, überraschten sie sich gegenseitig, indem sie unerwartet aus den Büschen sprangen; zwischendurch legte sich einer von ihnen auf den großen Felsen, um den anderen dann wieder anzuspringen. Zu guter Letzt gönnten sie sich eine kleine Abkühlung im Wasser, bei der sie ein bis zwei andere Elefanten begleiteten. Sie alle stiegen schwarz wie Holzkohle aus dem Wasser, um sich mit der Erde anschließend wieder rot „einzupudern“! Das alles wurde für den Kinofilm festgehalten, mit dem einzigen Nachteil, dass uns das Wetter ein wenig besser hätte mitspielen können. Die meiste Zeit war es sehr bewölkt statt sonnig.

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Alle Ithumba-Waisen liefen schließlich in Schlängellinie in den Busch, Kilaguni, Sabachi und Chaimu mittendrin in der Ithumba-Elefantenwaisenfamilie. Sie wurden sehr warmherzig aufgenommen und von ihrer Ersatzfamilie augenblicklich als Ex-Waisen in der Gemeinschaft akzeptiert. So und so ähnlich wird es ihnen in den nächsten Tagen, Wochen, Monaten und Jahren auch mit wilden Artgenossen gehen, bis sie wieder dort angekommen sind, wohin sie gehören. In Elefantenmanier werden sie gehegt und gepflegt werden, und wir Menschen werden wieder einmal bewegt sein, dass wir das Privileg haben, bei diesem Prozess dabei zu sein und noch mehr, dass auch wir uns der Liebe dieser Elefanten sicher sein können.