Lenana, Makena & Chyulu ziehen nach Ithumba

Es sind immer gemischte Gefühle im Spiel, wenn die Elefantenwaisen für immer die Nursery verlassen und zur nächsten Phase ihrer Auswilderung (weitere 8-10 Jahre) in die Elefantengemeinschaft eines geschützten Nationalparks übergehen, der groß genug ist um ihnen einen angemessenen Lebensraum zu bieten. Dieser Nationalpark ist Tsavo-Ost, etwa 15.000 km² in seiner Ausdehnung und mit einem Gebiet von etwa 4.800 km² unberührter Wildnis im Norden. Für Touristen ist dieses Gegend nicht zugänglich, weil sie so abgeschieden und trocken ist. Elefanten jedoch bietet sie ein optimales Habitat, und sie war früher sogar einer der Kronjuwelen Tsavos, denn es lebten dort einstmals einige der größten Elefanten, die man in Afrika jemals sah.

Drei große Lkws parkten schon 5 Tage vor dem 16.06., dem anvisierten Abreisetag, vor den Laderampen der Nairobi Nursery, damit sich die drei Waisen schon einmal an die Fahrzeuge gewöhnen konnten. Lenana und Chyulu waren recht fügsam, nicht jedoch Makena, die die Lastwagen offenbar mit der plötzlichen Abwesenheit früherer Nursery-Freunde wie zum Beispiel Naserian, Lualeni und Sian in Verbindung brachte. Diese besagten drei waren alle Mini-Leitkühe in der Nursery und hatten Makena in ihr großes Elefantenherz geschlossen, als sie selbst noch ein kleines Baby war.

Der 16. Juni begann sehr früh morgens um 4.30 Uhr mit den Vorbereitungen: Milch musste für die Reise angerührt werden, Grünfutter musste gehauen und in den Lkws aufgehangen werden, damit die Elefanten während der Fahrt fressen konnten, und auch die persönlichen Sachen der Keeper, die sie begleiten würden, mussten eingeladen werden. Makena musste mit einem Schuss Stresnil® (ein Beruhigungsmittel) für die Beladung ruhig gestellt werden.

Als es nun soweit war, bestiegen Lenana und Chyulu anstandslos die Laderampen und tranken ihre Milch im Inneren des Lastwagens, so dass die Türe hinter ihnen verschlossen werden konnte. Makena hatte immer noch Zweifel, und als sie bereits zur Hälfte auf dem Hänger stand, überlegte sie es sich noch einmal anders und versuchte wieder umzukehren. Robert Carr-Hartley setzte den Lkw ein paar Schritte nach vorn, so dass hinter ihr und der Rampe eine Lücke entstand, die sie zwang dort zu bleiben wo sie war, und um 5.15 Uhr konnte auch die Türe ihres Hängers verschlossen werden. Noch bevor die Sonne den Horizont überwunden hatte, rollten die beiden riesigen Lkws mit ihrer wertvollen Fracht langsam vom Grundstück der Nursery. Alle Mitarbeiter winkten ihren Elefanten Lebewohl – einige hatten sogar feuchte Augen, denn Abschied nehmen ist nun einmal sehr emotional!

Die Reise fand glücklicherweise in den kühlen Vormittagsstunden statt, doch leider gab es auf der Straße in Richtung Mombasa furchtbar strapaziöse Umleitungen, und der letzte Teil der Kanziku-Straße Richtung Ithumba war nicht minder aufreibend. Um 13 Uhr trafen sie schließlich an ihrem Zielort ein. Die Lastwagen wurden rückwärts an die Laderampen gefahren, dem Platz, wo sich die Ithumba-Waisen am liebsten Kratzen bevor sie jeden Tag zum Fressen aufbrechen. Lenana und Chyulu hatten die Reise offenbar gut überstanden und kamen langsam aus dem Hänger heraus um ihre Milch zu trinken. Der zweite Truck wurde gerade in die richtige Position manövriert, und sobald die Klappe entriegelt war, eilten Lenana und Chyulu zu Makena. Sie wirkte offensichtlich sehr erleichtert, dass die beiden noch bei ihr waren, als sie die Rampe hinab stieg.

Die Anstrengungen der Reise steckten ihr jedoch noch in allen Gliedern, und sie war sichtlich verwirrt, desorientiert und überwältigt, denn sie wollte nicht einmal ihre Milch trinken. Die Nairobi Nursery war ihr in den letzten 3 Jahren alles gewesen, denn als sie ankam, war sie gerade 3 Monate alt. Und jetzt war diese Welt komplett auf den Kopf gestellt, und das drückte schwer auf ihr Gemüt. Lenana und Chyulu waren schon älter, als sie verwaisten, so dass sie sich wahrscheinlich noch an die andere Welt, die Wildnis, erinnern konnten, die Makena natürlich völlig fremd war.

Lenana, Chyulu & Makena

Die 27 Ithumba-Elefanten waren nicht in der Nähe, als die drei eintrafen – jedoch preschten sie nur wenig später an den Ort des Geschehens! Wie jedes Mal war auch dieses Wiedersehen geprägt von lebhafter und überschwänglicher Freude, begleitet von aufgeregtem Trompeten, Urinieren und Rüsseltasten. Die Neuankömmlinge wurden auf das Wärmste begrüßt und in die neue und noch viel größere „Familie“ aufgenommen. Sofort erkannten sich diejenigen wieder, die schon einmal zusammen in der Nursery lebten. Sian, die zuletzt einen Stall mit Chyulu teilte, stürmte sofort auf sie zu und war von ihr ab sofort nicht mehr weg zu bewegen. Naserian und Lualeni trösteten Makena, während Loijuk sich ganz aufgeregt um Lenana bemühte. Alle anderen sammelten sich um das kleine Grüppchen und versuchten sich durch Schubsen an die Neuankömmlinge vorzutasten, ihre Rüssel liebevoll auf deren Rücken zu legen. Diejenigen, die es nicht so weit schafften, rollten sich auf dem Boden herum und hätten wahrscheinlich Kopfstände vor Freude gemacht, wenn sie könnten!

Am ersten Tag nach dem Umzug sah man nun dreißig überglückliche junge Elefanten auf ihrem Weg zum Grasen in den Busch. Auch andere Elefanten schienen die Freude der Waisen zu spüren, denn als sie abends zu den Stallungen zurückkehrten, tauchten vier große wilde Bullen auf um nachzusehen, was hier vor sich ging. Die Waisen-Herde lief einfach an ihnen vorbei, und innerhalb nur weniger Stunden seit der Ankunft von Lenana, Chyulu und Makena war den dreien bereits vergönnt, worauf die anderen lange hatten warten müssen – Kontakt zur wilden Elefantengemeinschaft.

Die wilden Elefanten sind mittlerweile ständig in der Nähe. Ihre Fußspuren und Kot übersäen alle Straßen, und sie kommen sogar bis ins Ithumba Camp hinein um aus der Stalltränke zu saufen. Sie benutzen nun auch das Schlammbad der Waisen, und treffen sich häufig mit den älteren Waisen, wenn sich diese von der Herde und ihren Keepern absetzen um sich mit ihren wilden Altersgenossen zu verbrüdern. Die Anwesenheit der Waisen und das Vertrauen gegenüber Menschen, das sie ihren wilden Artgenossen vermitteln konnten, die lange Zeit alles unternahmen um den Menschen aus dem Weg zu gehen, grenzt an Übernatürlichkeit. Kenia ist nicht nur ein erstklassiges Touristenziel, dessen Ruf auch die Waisen in der BBC-Reihe „Tagebuch der Elefanten“ oder im angesehenen 60-minütigen Beitrag der CBS aufpolierten, sondern unsere Elefanten haben auch wilde Herden wieder in Regionen gelockt, die nach den Massenmorden der späten 70er, 80er und frühen 90er für drei Jahrzehnte die Gegend verlassen hatten. Durch sie wurden weitere 4.800 km² unberührte Wildnis wieder ein Zuhause für Elefanten in einer Region, die davon profitieren wird und wieder zu dem wird, was es einmal war – der Kronjuwel Tsavos und die Heimat von einigen der größten Elefanten, die Afrika jemals sah.

Nachdem sie die Nacht in Gesellschaft von Sian, Naserian und Loijuk verbracht hatte, war Makena am nächsten Morgen wieder ganz die Alte. Bevor Robert Carr-Hartley wieder aufbrach, besuchte er noch das nahe gelegene Wasserloch und wurde mit dem prächtigen Anblick eines riesigen männlichen Leoparden belohnt. Noch aufregender dagegen war die Entdeckung eines sehr großen Elefantenbullen mit gewaltigen Stoßzähnen, der dahin zurückgekommen war, wo er hin gehörte – in den Norden des Nationalpark Tsavo-Ost, den Ort, den David Sheldrick einst als Himmel auf Erden bezeichnete.