Ein neues Murera-Wunder: Baby Mwana!

In Umani Springs hat sich schon das eine oder andere kleine Wunder ereignet. Aber jetzt gibt es das vielleicht größte von allen in diesem grünen Paradies zu bestaunen: Murera ist Mutter geworden! Dass Murera selbst am Leben ist, hätte am Anfang niemand zu hoffen gewagt, und die neueste Wendung in ihrem Leben ist so erstaunlich, dass es viele immer noch nicht so recht glauben können.


Von allen Elefantenwaisen, die beim Sheldrick Wildlife Trust (SWT) im Laufe der Jahrzehnte wieder aufgepäppelt wurden, ist Murera etwas ganz Besonderes. Im Jahr 2012, zu einer Zeit, als die Wilderei in Kenia die schlimmsten Ausmaße angenommen hatte, kam sie in die Nursery in Nairobi als ein hoffnungsloser Fall. Sie war in eine vergiftete Falle getreten, die das Hinterbein beschädigt und der Kleinen grausame Wunden zugefügt hatte. Als sie versuchte, mit ihrer Herde mitzuhalten, musste sie unglücklich gefallen sein und sich die Hüfte gebrochen haben, so dass sie ihr gesamtes Hinterteil nicht mehr bewegen konnte. Sie musste in ihrem jungen Leben nur noch Schmerzen gespürt haben und erlebte unermessliches Leid.

Alle Tierärzte, die konsultiert wurden, rieten dazu, Murera einzuschläfern. Doch Daphne Sheldrick spürte noch ein winziges bisschen Hoffnung und bestand darauf, dass sie nicht aufgegeben werden sollte. Und auch die Keeper erkannten, obwohl es Murera sehr schlecht ging, dass sie noch einen Willen zum Überleben hatte und begannen, Himmel und Erde in Bewegung zu setzen, um sie zu retten! Es war eine schwierige Zeit; Peter, einer der langjährigen Keeper der Nursery, erinnert sich: „Anfangs war es sehr schwer für uns alle. Eines Tages schien sie aufgeben zu wollen und nahm nichts mehr zu sich, aber wir versuchten, sie zum Fressen zu animieren, und zeigten ihr all unsere Liebe und Unterstützung.“

Und es lohnte sich! Mit der Zeit ließen Mureras Schmerzen nach und sie konnte sich wieder besser bewegen – anfangs waren es nur ein paar vorsichtige Schritte, nach und nach dann auch wieder längere Wege durch den Wald. Aber auch wenn sie lernte, mit ihren Verletzungen zu leben, war klar, dass Murera ihre körperlichen Beeinträchtigungen nie mehr loswerden würde.

Für ihre Zukunft mussten also neue Wege beschritten werden. Sie würde niemals in der Lage sein, die großen Entfernungen zurückzulegen, die notwendig waren, um in der Trockenzeit in Tsavo genug Futter und Wasser zu finden. Für Sonje, ein weitereres Elefantenmädchen mit vergleichbaren Verletzungen, das kurz nach Murera ins Waisenhaus kam, sah die Situation ähnlich aus. Daher wurde beim SWT beschlossen, eine neue, dritte Auswilderungsstation in Umani Springs zu eröffnen, inmitten des Kibwezi-Waldes, wo es das ganze Jahr über grün ist und immer genug Vegetation gibt. Das war vor neun Jahren. Inzwischen hat sich Umani Springs zu einer herrlichen Oase entwickelt, wo nun schon 18 Waisen-Elefanten leben und Schützlinge der beiden Leitkühe Murera und Sonje geworden sind.

Auch wenn es so aussieht, als wenn Murera ein Opfer von schrecklicher menschlicher Gewalt und schlimmen Erfahrungen ist, hat sie sich doch nie mit dieser Einschätzung abgefunden. Stattdessen hat sie in ihrer ruhigen und stoischen Art alle Widrigkeiten ihres Lebens gemeistert.

Und nun hat wohl eine dieser traurigen Erfahrungen ihren neuen Lebensabschnitt als Mutter eingeleitet! Im Mai 2021 musste die Herde in Umani Springs mit großer Trauer zurechtkommen, als der kleine Luggard starb. Als Opfer eines Schussverletzung hatte Luggard immer ein schwieriges Leben, und nach fünf Jahren war offenbar sein Körper am Ende seiner Kräfte. Murera, die Luggard wie ihren eigenen Sohn umsorgte, war am Boden zerstört. Sie hatte sich zuvor nie weit von der Waisen-Herde entfernt und war nachts immer mit ihr zu den Gehegen zurückgekehrt. Direkt nach Luggards Tod aber verschwand sie für vier Tage in der Wildnis. Dann kam sie wieder zurück; sie schien ihre Trauer verarbeitet zu haben und ging wieder wie früher zuversichtlicher durchs Leben.

Einige Monate später beobachteten die Keeper schließlich, wie Mureras Bauch immer runder wurde. Da sie ihre Schützlinge natürlich sehr gut kennen, blieb ihnen nicht verborgen, dass sie immer wieder launisch wurde und sich etwas seltsam verhielt. Alles deutete darauf hin, dass Murera trächtig war! Gut möglich, dass der Verlust von Luggard sie dazu veranlasste, hinaus in die Wildnis zu ziehen und nach einem paarungsbereiten Partner Ausschau zu halten. Vielleicht spürte sie, dass erst ein eigenes Baby ihr gebrochenes Herz heilen würde. Das ist sehr erstaunlich, denn zuvor hatte Murera sich immer alle Mühe gegeben, von wilden Elefanten fernzubleiben! Offenbar befürchtete sie, dass deren mitunter ruppige Spiele ihrem verletzten Körper wieder Schaden zufügen könnten.

Nach 22 Monaten hatte nun Mureras Baby seinen großen Auftritt! Am 12. März 2023 war die Waisenherde gerade mit ihrem nachmittäglichen Staubbad beschäftigt, als Murera einmal laut trompetete und sich in die umgebenden Büsche absetzte. Die Keeper hatten sich schon häufiger gefragt, wie sie so eine schwierige Geburt wohl verkraften würde, aber es verlief alles reibungslos –  keine zehn Minuten später stand ein wunderbares kleines Elefantenmädchen vor den Keepern! Sie nannten es Mwana, Suaheli für „Mädchen“.

Sofort kamen drei wilde Bullen dazu und bewachten die Herde, während die anderen Waisen Mutter und Tochter umringten. Murera half dem winzigen Kalb auf die Beine, während die anderen um sie herumwuselten und feierten. Die Bullen blieben ganze zwei Tage und Nächte, um die neue kleine Familie zu beschützen! Die Keeper vermuten, dass einer der Bullen, der besonders aufmerksam mit den beiden umging, der Vater des Babys ist. Er ist ein beeindruckender Elefant und scheint sich sehr gut um sie zu kümmern – Murera hat sich einen sehr guten Partner zur Paarung ausgesucht!

Am zweiten Tag bemerkten die Keeper, dass Mwana ein paar Kratzer und Schürfwunden hatte, die sie sich wohl in der Nacht eingehandelt hatte. Da Murera ohnehin gewohnt ist, im Gehege zu schlafen, brachten sie sie und Mwana abends zu ihrem gewohnten Abteil, in dem sie die Nacht in Sicherheit verbringen konnten. Murera war einverstanden und führte ihre Tochter bereitwillig in ihr Gehege.

Tagsüber verbingen Murera und Mwana ihre Zeit bei der Waisenherde. Murera ist eine sehr freundliche Mutter und lässt alle Mitglieder ihrer Familie aus Menschen und Elefanten auf Mwana aufpassen. Sie scheint der Meinung zu sein, dass das erste wildgeborene Baby in Umani Springs ein wunderbares Geschenk an alle ist! Die anderen Waisen sind natürlich ganz aus dem Häuschen – alle wollen sie das kleine Baby bemuttern, so oft es geht!

Sonje ist das hauptamtliche Kindermädchen, aber Lima Lima, Quanza, Zongoloni, Enkesha und Kiasa unterstützen sie eifrig. Sogar die Jungs hat das kleine Mädchen verzaubert, und sie begleiten es auf Schritt und Tritt! Nur der kleine Kapei ist nicht sonderlich begeistert, denn Mwana hat ihm natürlich den Rang als Nesthäkchen abgelaufen.

Eine kleine Schwierigkeit gab es allerdings noch zu meistern. Murera ist zwar eine äußerst liebevolle und treusorgende Mutter, aber aus irgendeinem Grund tat sie sich schwer damit, Mwana zu säugen. Jedes Mal, wenn sie versuchte zu nuckeln, ging Murera davon!

Da es für neugeborene Elefanten äußerst wichtig ist, echte Muttermilch und die darin enthaltenen Nährstoffe zu bekommen, schmiedeten die Keeper einen Plan. Sie nahmen Murera immer wieder etwas Milch ab und fütterten das Baby dann damit. Murera hat so viel Vertrauen in die Keeper, dass sie ohne Probleme mitmachte. Einige der Keeper haben selbst jede Menge Erfahrung damit, ihre eigenen Tiere zu melken, und so wussten sie genau, was zu tun war. Trotzdem ist es natürlich alles andere als selbstverständlich, dass sich eine ausgewachsene Elefantenkuh einfach so melken lässt!

Einige Zeit lang blieben die Keeper Tag und Nacht an der Seite von Mutter und Tochter und sorgten so dafür, dass das Baby immer gut gefüttert war. Es kostete jede Menge Zeit, zusätzlich zu den sowieso schon zahlreichen Tätigkeiten, die die Betreuung einer Herde von Elefantenwaisen erfordert, aber die Keeper beschlossen, diese so lange wie nötig weiter zu investieren!

Am elften Tag war es dann schließlich soweit: Wie aus heiterem Himmel stellte Murera auf einmal ihr Vorderbein etwas nach vorne und ließ Mwana säugen! Die Kleine – die die gemolkene Muttermilch immer begierig getrunken hatte –ließ sich auch sofort darauf ein und nuckelte fortan an der Brust ihrer Mama!

So lassen uns die Waisenelefanten immer wieder kleine Wunder erfahren. Fast niemand hatte es für möglich gehalten, dass Murera überleben würde, aber sie konnte alle eines Besseren belehren! Unter ihrem Kommando entwickelte sich die Waisenherde im Kibwezi-Wald prächtig, und nun, da sie 13 Jahre alt ist, hat ein neues Kapitel in ihrem Leben begonnen: als Mutter.

Es wird spannend werden zu sehen, wie sich die kleine Familie entwickelt. Vielleicht bleiben Mutter und Tochter weiter Teil der Waisenherde von Umani Springs; oder sie machen sich selbst auf in die Wildnis, wenn Mwana einmal älter wird. Wie auch immer sie sich entscheiden: Die Keeper wie auch alle Mitarbeiter des SWT und ihre Pateneltern auf der ganzen Welt werden da sein, um sie zu unterstützen und ihnen zu helfen.

Man kann nur noch einmal Adan, einen von Mureras Keepern zitieren: „In Kikamba gibt es das Sprichwort: ‚Die Impala-Mutter hat keine Hörner wie ihr Sohn, aber sie ist trotzdem seine Mutter.‘ So ist es auch mit Murera – sie mag zwar nicht gut laufen können und braucht ihre Zeit, aber sie ist die Leitkuh der Herde.“ Und nun ist unsere wunderbare Leitkuh auch Mutter geworden!

(übersetzt aus dem englischen Bericht des Sheldrick Wildlife Trust
alle Bilder © Sheldrick Wildlife Trust)