ATE News: Juni und Juli 2022

Juni und Juli sind in Amboseli normalerweise die ersten Monate der „Großen Trockenzeit“. Es regnet nicht mehr, doch die Tiere kommen noch gut zurecht, da sie noch immer genug Nahrung finden. Dieses Jahr aber fiel die Regenzeit der Monate April und Mai extrem dürftig aus. Daher war das Land Anfang Juni bereits ausgetrocknet, und die Situation schien sich zu einer echten Dürre zu entwickeln.

Wasser ist in Amboseli zwar das ganze Jahr zuverlässig in den Sümpfen vorhanden, doch die Nahrung wird bei anhaltender Trockenheit immer knapper. Zu den wichtigsten Ressourcen zählt jetzt die  Sumpfvegetation, die aber leider nicht besonders nahrhaft ist. Die Savannen sind verdorrt, und die wenigen Waldgebiete viel zu klein für alle Tiere des Amboseli-Ökosystems.

 

Ann führt ihre Familie
Ann führt ihre Familie

Da die Dürreperioden aufgrund des Klimawandels immer häufiger auftreten und in ihren Auswirkungen durch das menschliche Bevölkerungswachstum und veränderte Landnutzungskonzepte noch verschlimmert werden, sind sie ein sehr ernstes Problem.

Dieses Jahr entwickelten sich die Verhältnisse sogar besonders schlimm – und das ausgerechnet, weil die vorherigen Jahre besonders gute gewesen waren. Es hatte sehr viel geregnet, und daher gab es ein reiches Nahrungsangebot, welches dazu führte, dass die Populationen der meisten Wildtiere, vor allem Zebras, Gnus, Büffel und Elefanten, stark zunahmen. Dadurch wurde nun der Druck auf die letzten Nahrungsressourcen noch stärker…

In diesen schweren Zeiten hängt das Überleben der Familien vor allem von den Erfahrungen und Strategien ihrer Matriarchinnen ab. Diese haben ganz unterschiedliche Methoden entwickelt, um ihre Familien durch nahrungsarme Zeiten zu bringen. Das ist sehr sinnvoll, da dadurch die verbliebenen Ressourcen optimal genutzt werden können.

 

Gigabyte und Georgia von den GBs
Gigabyte und Georgia von den GBs

 

Viele Familien, vor allem die größeren wie die GB,s aber auch einige kleinere wie die AAs, teilen sich in kleinere Gruppen auf, die es leichter haben, ausreichend Nahrung zu finden. Andere legen weite Strecken zurück, um verschiedene Nahrungsquellen zu nutzen.

Die meisten Wildtiere konzentrierten sich auf die Sümpfe und kleineren Wälder im Zentrum des Nationalparks. Bei den Elefanten waren dies zunächst natürlich jene Familien, die sich ohnehin fast immer in diesem Gebiet aufhalten – die AAs, die GBs, die FBs oder die OAs. Doch mehr und mehr zeigten sich auch Familiengruppen, die sonst oft weit entfernte, außerhalb des Parks liegende Weidegründe nutzen – so die ZCs, die QBs oder KAs. Elefanten sind grundsätzlich nicht besonders territorial, und oft teilen sich mehrere Familien bestimmte Gebiete. Vor allem während der Regenzeiten spielen Grenzen fast überhaupt keine Rolle. Viele Familien und Bullen schließen sich dann oft zu großen Herden zusammen, die gemeinsam umherziehen. Bei zunehmenden Trockenzeiten oder Dürren können aber sogar die sonst so sozialen Elefanten an die Grenzen ihrer Toleranz stoßen, und sie beginnen, ihre wichtigsten Weidegründe gegen fremde Familien zu verteidigen.

 

Ann mit ihrer Familie
Ann mit ihrer Familie

 

Ein gutes Beispiel hierfür bieten die AAs und die EBs, zwei Familien, die generell beide als besonders friedfertig, sozial und umgänglich bekannt sind. Gerade auch ihre Matriarchinnen, Astrid von den AAs und Enid von den EBs, besitzen einen sehr sanften und freundlichen Charakter.

Viele Jahrzehnte kamen diese beiden Familien daher gut miteinander aus. Doch veränderte Bedingungen führten nun zu Problemen.

Die EBs waren einst eine sehr standorttreue Familie, die sich meistens im südlichen Teil des Amboseli Nationalparks aufhielt. Man konnte sie oft bei den Sümpfen Enkong Narok und Longinye sowie den benachbarten Ebenen antreffen. Speziell während der Trockenzeiten hielten sie sich oft im nahegelegenen Oltukai Orok Forest auf, einem kleinen Wald, in dem auch das Camp des Amboseli Trust for Elephants (ATE) liegt. Sie teilten diesen Rückzugsort mit anderen Familien wie den GBs. Allerdings kamen nur die EBs direkt in das ATE-Camp, um zwischen den Zelten das Gras abzuweiden. Zu der Zeit, als die legendäre Echo die Matriarchin der EBs war, verschwanden sie gewöhnlich einmal im Jahr, meistens im August, um nach Süden bis Tansania und zum Kilimanjaro zu ziehen. Nachdem Echos Tochter Enid die Führung der EBs übernommen hatte, folgte sie weitgehend dem Wander-Rhythmus ihrer Mutter. Doch ihre Ausflüge in Gebiete außerhalb des Parks wurden im Laufe der Zeit immer häufiger, und zuletzt war sie oft mehrere Male im Jahr für Wochen oder Monate verschwunden.

 

Eugenie entrindet einen Akazienzweig
Eugenie entrindet einen Akazienzweig

 

Astrid übernahm vor einigen Jahren die Führung der AAs. Diese nutzten traditionell vor allem den Enkong Narok Sumpf sowie die Umgebung des Observation Hill. Den Park scheinen sie nie verlassen zu haben, und auch innerhalb besuchten sie kaum andere Gebiete. Das bot ihnen viel Sicherheit, und sie konnten Konflikte mit Menschen vollständig vermeiden. Doch speziell die Trockenzeiten verursachten ihnen große Probleme. Sie waren dann fast ausschließlich auf die Sümpfe angewiesen. Diese boten zwar ausreichend Wasser, aber nur nährstoffarme Vegetation, welche es den Kühen erschwerte, ausreichend Milch für ihre Kälber zu produzieren. Außerdem konnten die Kälber während der vielen Stunden im Wasser kaum gesäugt werden, mussten aber gleichzeitig lange, anstrengende Wanderungen durch zähen Schlamm zurücklegen. Dazu kommt, dass die Amboseli-Sümpfe ziemlich kaltes Wasser haben, was leicht zu Lungenentzündungen bei den Kälbern führt. Die AAs haben daher im Vergleich zu anderen Familien eine besonders hohe Sterblichkeitsrate bei ihren Kälbern. Das hatte vor allem auch Astrid selbst mehrfach leidvoll erfahren müssen. Wenn man bedenkt, wie eng Elefantenmütter und ihre Kälber verbunden sind, dann kann man leicht nachvollziehen, wie schwer für sie der Verlust eines Kalbes ist. Und es ist dann auch mehr als verständlich, dass Astrid offensichtlich versuchte, derartige Tragödien künftig möglichst zu vermeiden, und sich entschied, mit ihrer Familie während der Trockenzeiten ebenfalls in den Oltukai Orok Forest zu ziehen.

Als sie diesen Wald das erste Mal besuchten, waren die EBs gerade auf einem ihrer längeren Ausflüge unterwegs. Die anderen Familien hatten offenbar kein Problem mit der Ankunft der AAs, weil diese deutlich weniger Mitglieder zählten als die EBs, und ihr Nahrungsbedarf durch die Abwesenheit von Enids Familie mehr als ausgeglichen wurde.

 

Angelina und ihre Kälber im Ol Tukai Forest
Angelina und ihre Kälber im Ol Tukai Forest

 

Als aber die EBs in den Park zurückkehrten, waren sie nicht erfreut, die AAs in ihrem Trockenzeit-Revier anzutreffen. Sie versuchten, Astrid und ihre Familie durch Drohverhalten einzuschüchtern, und als dies ohne Erfolg blieb, gab es sogar eine kleinere Rangelei. Doch da letztlich beide Familien einsahen, dass es der anderen ernst war, entwickelten sie – vorerst – eine Art Kompromiss: Die AAs durften im Wald bleiben, mieden aber jenen Teil, in dem sich die EBs bevorzugt aufhielten – vor allem den Bereich des ATE-Camps.

Im Laufe des letzten Jahres, vor allem in Zeiten, wenn die EBs wieder außerhalb des Parks unterwegs waren, dehnten die AAs ihre Streifzüge aber immer öfter bis zum Camp aus und wagten sich schließlich sogar ebenfalls mitten zwischen die Zelte. Dies geschah zum ersten Mal, kurz nachdem das männliche Zwillingskalb Angelinas gestorben war und Ann ein neues Kalb geboren hatte. Vielleicht war nun das Bedürfnis der AAs nach hochwertiger Nahrung besonders groß. Tatsächlich kann man feststellen, dass sich sowohl Angelinas überlebendes weibliches Zwillingskalb wie auch Anns Kalb  seitdem sehr gut entwickeln. Wobei Angelinas Tochter natürlich jetzt auch die Milch ihrer Mutter nicht mehr mit ihrem Bruder teilen muss.

 

Annan und ihr Kalb
Annan und ihr Kalb

 

Vor allem aber Astrids Tochter Annan und ihr Kalb, die oft von Anson, dem Sohn der verstorbenen Alexandra, begleitet werden, scheinen sich hier besonders wohl zu fühlen. Sie kommen manchmal sogar allein in das Camp.

Anfang Juli entdeckte man schließlich einige EBs unter Führung Edwinas am Rand des Oltukai Orok Forests in Gesellschaft eines Teils der SB-Familie mit Leitkuh Suki und einer Gruppe der AAs, die aus Angelina und ihren Kälbern bestand. Die Angehörigen dieser verschiedenen Familien schienen recht gut miteinander auszukommen und standen relativ nahe beinander. Möglicherweise ein Hinweis darauf, dass sich die Beziehung zwischen den AAs und EBs allmählich wieder entspannt.

 

Edwina mit einem Teil der EB-Familie
Edwina mit einem Teil der EB-Familie

 

Leider mussten die EBs aber im Juni eine besonders traumatische Erfahrung machen: Sie wurden in einen Konflikt mit Menschen verwickelt, als sie wieder einmal außerhalb des Parks unterwegs gewesen waren. Es ist nicht bekannt, wo genau der Vorfall sich ereignet hatte und um welche Menschen es sich handelte. Es kann sowohl auf tansanischer wie kenianischer Seite der Grenze geschehen sein. Was wir aber wissen ist, dass die EBs am 13. Juni nach längerer Abwesenheit endlich wieder innerhalb des Parks auftauchten, wo sie vom ATE-Team entdeckt wurden. Dabei stellte das Team fest, dass vier Familienmitglieder durch Speere verletzt worden waren: Enid, ihr Sohn Ektor, ihre Schwester Esprit und der Sohn ihrer Tochter Elise. Sofort wurde eines der mobilen Tierarzt-Teams des Sheldrick Wildlife Trusts (SWT) und Kenya Wildlife Service (KWS) angefordert,  und nachdem dieses mit Dr. Limo eingetroffen war, begann ein wahrer Behandlungsmarathon. Es ist keine einfache Aufgabe, vier Elefanten ein und derselben Familie, darunter auch die Matriarchin, zu narkotisieren, die anderen, selbstverständlich besorgten und aufgeregten, Familienmitglieder auf möglichst sanfte Weise abzudrängen und so dem Tierarzt-Team ungehinderten Zugang zu den Patienten zu ermöglichen. Es dauerte Stunden, bis alle verletzten Elefanten tierärztlich versorgt waren, und der letzte von ihnen konnte erst nach Einbruch der Dunkelheit im Licht von Autoscheinwerfern behandelt werden. An dieser Stelle ein ganz großes, herzliches Dankeschön an alle, die an dieser nervenaufreibenden Aktion beteiligt waren, vor allem den Teams des ATE, SWT und KWS!

 

Enid, die Matriarchin der EBs. säugt ihr jüngstes Kalb
Enid, die Matriarchin der EBs, säugt ihr jüngstes Kalb

 

Immerhin konnte Dr. Limo allen vier Patienten eine gute Prognose ausstellen, wenngleich es nicht auszuschließen war, dass zumindest bei Elises Sohn eventuell eine Nachbehandlung notwendig werden würde. Das ATE-Team übernahm es, die EBs genau im Auge zu behalten, um die Entwicklung der vier Patienten zu überwachen und notfalls gleich wieder einen Tierarzt rufen zu können.

Inzwischen machten sich allerdings die Folgen der Dürre auch innerhalb des Parks durch ein immer spärlicheres Nahrungsangebot und den Zuzug von immer mehr Tieren bemerkbar. Die EBs begannen daher ebenfalls, sich in kleinere Gruppen aufzuteilen, was ihre Überwachung durch das ATE-Team nicht gerade erleichterte. Während sich Edwinas Gruppe im Oltukai Orok Forest aufhielt, zog sich Enids Gruppe, zu der auch die anderen drei verletzten Familienmitglieder sowie Enids Tochter Elise und ihre gute Freundin Elliot gehörten, in einen etwas weiter westlich liegenden, kleineren Wald zurück. Glücklicherweise gelang es, sie dort wieder aufzuspüren, und sie machten einen den Umständen entsprechend einigermaßen stabilen Eindruck. Vor allem Elliots Gesellschaft half Enid sehr, Stress abzubauen, und war dadurch ihrem Genesungsprozess sehr förderlich.

 

Elise wacht über ihr schlafendes Kalb
Elise wacht über ihr schlafendes Kalb

 

Esprit verschwand allerdings plötzlich und ließ ihr Kalb bei Enid und Elise zurück. Ein ungewöhnliches Verhalten für eine Elefantenkuh, welches man aber bereits mehrfach als Folge von großem Stress beobachtet hat. Selbstisolation ist bei Elefanten offenbar ein typisches posttraumatisches Stresssyndrom. Glücklicherweise kehrte Esprit aber Ende Juli zurück und war dann auch wieder in der Lage, sich um ihr Kalb zu kümmern.

Nun kommt es darauf an, ob die Genesung der verletzten EBs trotz der immer härter werdenden Dürre weiter gut voranschreitet und ob Enid in der Lage sein wird, ihre Familie sicher durch diese schwere Zeit zu bringen. Frühestens Ende Oktober oder Anfang November kann der Beginn der nächsten Regenzeit erwartet werden. Das ATE-Team wird jedoch, wie immer, die Elefanten in Amboseli auch auf diesem Weg begleiten.

 

Wer den Amboseli Trust for Elephants in diesen schwierigen Zeiten unterstützen möchte, kann uns eine Überweisung unter dem Stichwort „ATE“ auf unser Konto mit der

IBAN: DE30 2003 0000 0621 9182 83 und der BIC: HYVEDEMM300 zukommen lassen.

 

Oder ganz einfach per Paypal:

 

 

Wir danken allen Unterstützer*innen im Namen des gesamten ATE-Teams und der Elefanten aus Amboseli ganz herzlich für ihre so wichtige Hilfe!